123. Die Beneditiner als Pioniere der Kultur.
Ordnung bringen. Manch unschuldiges Schaf halte sein Fell hergeben
müssen, darnit daraus Pergament für die Schreibarbeiten des Klosters
hergestellt' werden konnte. Auch die Felle von Ziegen und Kälbern
wurden zu diesem Zwecke benutzt. Wenn die pergamentrolle vor dem
Schreiber lag, war sie aber noch nicht völlig für die Arbeit hergerichtet.
Der Mönch nahm das rasorinm, ein halbmondförmiges Schabeeisen,
Zur pand, schabte, glättete dann mit Bimsstein und fuhr mit der Kreide
über das Pergament um demselben eine weiße, Helle Farbe zu geben.
Maren Löcher und Risse auszubessern, so mußten dieselben zusammen¬
genäht werden, was in den Nonnenklöstern gewöhnlich mit feinen bunten
Leidenfäden geschah. Darnach galt es das Pergament zu liniieren. Wenn
wir auch heute auf manchen alten Handschriften nicht mehr die Spuren
der Linien erkennen, so schrieb doch kein Mönch eine Zeile ohne Liniierung.
Wlit dem Zirkel wurde das Pergament nach genauer Abmessung durch¬
stochen und darüber die Linien gezogen, die seit dem 9. Jahrhundert
nicht über die ganze Breite des Blattes liefen, sondern einen Rand frei
ließen. Hatte der Schreiber das Pergament präpariert, so prüfte er
die Güte seiner Feder, die der friedlichen Gans oder einem Waldvogel
entnommen war, den das Rohr des Klostervogts getroffen. Fand er,
daß die Feder durch frühere Arbeit zu sehr abgenutzt war, so schnitt er
sie sich mit dem Messer (scalprum librarium) zurecht. War er damit
fertig, so tauchte er die Feder in das Ochsenhorn, welches in einer Öffnung
seines Schreibpultes steckte und die tiefschwarze Tinte enthielt. Tine
humoristische Betrachtung deutscher Literaturgeschichte wird schmunzelnd
die Tatsache konstatieren müssen, daß die Bestandteile der Tinte, mit
welcher das Hildebrandslied niedergeschrieben wurde, dieselben waren,
wie die der Tinte, welcher die Meisterwerke moderner Dichtung entflossen
sind. Das Tintenrezept des Mittelalters war ebenso einfach wie das
heutige, es bestand wesentlich aus einer Mischung von Galläpfeln und
Vitriol. Warum aber hielt der Schreiber plötzlich inne, als er eben die
Feder ansetzen wollte? Warum griff er nach einem Kästchen, das einige
Farben enthielt? Ls war ihm plötzlich eingefallen, daß der Autor, dessen
Werk er kopierte, doch bedeutend genug war um eine farbige Ausschmückung
seiner Worte zu verdienen. So malte er denn bedächtig die erste Zeile
mit roter Farbe, mischte wohl auch etwas Blau hinein und wenn er gar
ein geübter Schreibkünstler war, so malte er nicht länger als einen Tag
an der Initiale mit Blau, Rot und Gold. Als größter Luxus galt eine
Gold- oder Silberschrift. Sie ward nur bei besonders geheiligten Werken
angewandt, wie denn auch die berühmte in Upsala aufbewahrte Hand¬
schrift der Bibelübersetzung des Ulfilas in Silber und Gold auf Purpur¬
pergament geschrieben ist. Bequem genug saß der Mönch auf seinem
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