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Geschichte der alten Welt.
8 475. Die großen Grundbesitzer, durch den Senat vertreten, wi¬
dersetzten sich den Anträgen des T. Graccchus und sein Kollege M. Ok¬
tav ius legte sein Veto ein, und zwar in der redlichen Ueberzeugung,
daß die Wiedereinführung des licinischen Gesetzes eine gränzenlose Ver¬
wirrung der Besitzverhältniffe und dadurch Unglück über Italien bringen
werde. Da ließ ihn T. Graccchus verfassungswidrig durch Volksbe¬
schluß absetzen und die Kommission wählen, sich selbst zum Obmann
Kajus derselben und seinen Bruder Kajus und seinen Schwiegervater Ap-
'acc 11 ' pius Klaudiuö zu Kollegen. Die Erbitterung der beiden Parteien
nahm täglich zu, Graccchus fühlte sich nicht mehr sicher und ließ sich
deßwegen immer von wenigstens 2000 seiner Anhänger begleiten; er
sicherte sich überdies die Gunst des Volkes durch den Antrag, den von
König Attalus geerbten Schatz unter die neuen Grundbesitzer zu ver¬
theilen, damit sie sich das nöthige Vieh, Geräthe re. anschaffen könnten.
Endlich wollte er sich verfassungswidrig auch für das nächste Jahr zum
Tribunen erwählen lassen; da kam es zu einem Auflauf und die besser
vorbereitete Optimatenpartei, von Scipio Nasika angeführt, erschlug
den Graccchus nebst 300 seiner Anhänger mit Knitteln und Stuhlbeinen
und ließ die Leichen in die Tiber werfen.
8 476. Damit war allerdings der Urheber des Ackergesetzes hin¬
weggeräumt, das Gesetz selbst bestand aber dennoch fort und wurde theil-
weise durchgcführt, bis endlich die Klagen von Bürgern, von latinischen
und italischen Bundesgenossen, die im Besitze von Gemeinland waren, so
129 v. Chr. weit durchdrangen, daß der Dreierkommission die Entscheidung der
Frage, ob ein Gut Privat- oder Gemeinland sei, entzogen wurde, wo¬
durch natürlich die weitere Grundvertheilung in'ö Stocken gerieth.
8 477. Aber die von T. Graccchus in das Leben gerufene Volks-
123v.Chr. Partei setzte ihre Agitation fort und erhielt in K. Graccchus einen
entschlossenen Führer, der die bisherige Staatsverfassung umzustürzen
wagte. Er brachte als Volkstribun die Gesetze durch: 1) ein Volks¬
tribun ist auch für das nächste Jahr wählbar; 2) jeder Bürger in der
Stadt erhält monatlich für den halben Ankaufspreis ein bestimmtes
Maß Getreide (wahrscheinlich fünf modif); 3) die fünf ersten Klaffen
der Centuriatkomitien stimmen künftig in der durch das Loos bestimm¬
ten Reihenfolge ab; 4) das Ackergesetz wird durchgeführt, das Straf¬
gesetz gemildert, der Kriegsdienst abgekürzt, der Soldat auf Staats¬
kosten ausgerüstet; 5) die Richterkollegien werden künftig nicht mehr
aus den Senatoren, sondern aus den Rittern zusammengesetzt; 6) die
italischen Bundesgenossen erhalten das latinische Recht, die latinischen
das römische Bürgerrecht. Auch beantragte er überseeische Bürgerkolo¬
nien, namentlich Ansiedlung in dem zerstörten Karthago.
8 478. Der Senat bekämpfte ihn durch den Volkstribunen Li-
vius, der noch populärere Anträge stellte, und beseitigte ihn zuletzt auf
dieselbe Weise wie seinen Bruder Tiberius; überdies wurden seine An¬
hänger auch nach dem Gewaltstreiche so hart verfolgt, daß die Zahl der
in den Gefängnissen Hingerichteten auf 3000 gestiegen sein soll.
8 479. Die Partei der Optimaten benutzte ihren blutigen Sieg
ferner dazu, daß sie die noch nicht eingezogenen Gemeinländereien als
unvertheilbar erklären ließ, und regierte längere Zeit unangefochten, weil
die Volkspartei keinen Führer hatte.