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Zweiter Zeitraum. Rom als Republik.
I. Die Begründung der Herrschaft über das westliche Mittelmeer-
becken im Kampfe mit Karthago.
Karthago (^Neustadt) war um 800 von phönizischen Ansiedlern
unter der Führung einer lyrischen Prinzessin, die in der Sage den Namen Dido
trägt, gegründet worden; seine Bewohner wurden deshalb von den Römern
Poeni (Pnnier) genannt. Die Stadt lag auf einer Halbinsel der Nordküste
Afrikas, an einer Einbuchtung des Mittelländischen Meeres, der Südwestseite
Siziliens und Italiens gegenüber. Das fruchtbare Hinterland lieferte
reiche Ernten der verschiedenartigsten Feldfrüchte, und der Gewerbefleiß der
Bewohner brachte Erzeugnisse aller Art auf den Markt. Bei der günstigen
Lage der Stadt entwickelte sich darum bald ein ausgedehnter Land- und
Seehandel. Alle diese Umstände gaben Karthago früh eine mächtige Stellung
auf dem Festlande und den nahe gelegenen Inseln. Fast der ganze Nordrand
Afrikas (von Numidien bis an die Grenzen Ägyptens) wurde von den Puniern
unterworfen. Auch die Südküste Spaniens, die Inseln Korsika, Sardinien und
Teile Siziliens gerieten in die Abhängigkeit der mächtigen Stadt, bie im west¬
lichen Becken des Mittelmeeres nicht nur den Handel des Mutterlandes, sondern
auch den der Griechen und der Etrusker an sich riß. Karthagische Kriegsschiffe (Füns-
ruderer) beherrschten die wichtigsten Wasserwege, die zu den eroberten Ländern führten.
Mit den Römern hatten die Karthager bis zum Ende des Tarentinischen
Krieges in gutem Einvernehmen gestanden, da die Griechen auf Sizilien und
in Unteritalien ihre gemeinsamen Feinde waren. Nachdem aber mit der Unter¬
werfung Unteritaliens die Römer Nachbarn Siziliens und somit der Karthager
selbst geworden waren, mußte es über kurz oder lang zwischen beiden zum Kriege
kommen, weil der Besitz der fruchtbaren, städtereichen Insel sür beide gleich
wertvoll war.
Zu der Zeit, da Karthago mit den Römern zusammenstieß, war es die erste
Seemacht und die reichste Stadt der Welt, mit dem heutigen London zu
vergleichen. Die Karthager verfügten über eine tüchtige Reiterei, welche
aus ihren numidischen Untertanen zusammengesetzt war. Auch besaßen sie etwa
300 Kriegs elefanten, die in den Schlachten eine Hauptwaffe bildeten. Aber
die Karthager selbst waren, wie alle Handelsvölker, dem Kriegsdienste abgeneigt;
unzuverlässige Söldner bildeten den größten Teil ihres Heeres. Die Sinnes¬
art des Volkes war gewinnsüchtig, mißtrauisch und grausam. „Panische Treue"
war sprichwörtliche Bezeichnung der Untreue.
In der republikanischen Stadt hatten die reichen Großgrundbesitzer und
Großkaufleute die entscheidende Stimme. Ihr kleinlicher Krämergeist ließ es in
geeigneter Zeit an ber rechten Opferwilligkeit fehlen. Es konnte darum kein
Zweifel fein, wer aus biefem weltbebeutsameu Kampfe zwischen Karthago unb Rom
schließlich als Sieger hervorgehen mußte.
1. Der Erste Punische Krieg.
Der Kampfpreis bes Ersten Punischen Krieges war Sizilien. Die großen
Schlachten fanben meistens auf ber See in ber Nähe dieser Insel statt.
a) Die Veranlassung des Krieges. Eine aus dem Dienste entlassene
Banbe von Söldnern bemächtigte sich ber Stadt Messina unb machte