19
und seine sanft ansteigenden Hänge mit den wogenden Kornfeldern.
Unter dem Baume sitzt in einem hocharmigen Lehnstuhl der Bauer.
Manchen Sommertag hat er schon da gesessen; denn er ist seit Jahren
ein siecher Mann. Ein zehrendes Rückenmarkleiden zerstört langsam
seinen Körper; kein Arzt kann helfen. In sich zusammengesunken,
eine Menschenruine, kauert der Ärmste da. Arme und Beine sind in
fortwährend zitternder Bewegung. Auffallend jedoch bei der ge¬
brochenen Gestalt ist das Gesicht. Wohl sind tiefe Leidensspuren
darin eingegraben; allein deutlicher tritt noch hervor der Ausdruck
einer kraftvollen Ruhe. Die klaren, hellen Augen gleichen dem Spiegel
eines sonnenbeglänzten Waldweihers. Mit stillem Behagen schaut
der Kranke den fleißigen Immen zu, die von der Linde sich duftige
Beute holen. Ihr leises Summen und Schwirren dünkt ihn wie ein
Ton aus der göttlichen Schöpferwerkstatt, der unendliche Geheim¬
nisse ahnen läßt.
Der Mann sinnt über sein Leben nach. Einst war er voll Kraft
und strotzender Lebenslust. Selbstgewählte Wege ging er, ein stolzer,
herrischer Mensch. Jetzt aber — ihm ist’s, als stünde der dornge¬
krönte Dulder von Golgatha vor ihm und spräche mit mildem Tone
zu ihm wie einst zu einem andern, der auch nur auf sich selbst ver¬
traute: „Da du jünger warst, gürtetest du dich selbst und wandeltest,
wo du hinwolltest; wenn du aber alt wirst, so wirst du deine Hände
ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du
nicht hinwillst.“ Der Kranke hebt ein wenig die zitternden Hände; er
will sie falten. Kraftlos sinken sie wieder auf die Sessellehnen zurück.
Doch kraftvoll richtet sich seine Seele empor; „Führe mich, Herr, wie
du willst!“
Ein rascher Schritt schallt von der Straße herauf. Der Mann
wendet den Kopf danach. Ein Freudenschein geht über sein Gesicht.
Seine Frau kommt über den Hof. Um den Kopf hat sie ein weißes
Tuch geschlungen. Auf der Schulter trägt sie einen Rechen. Eilig
tritt sie auf den Kranken zu: „Es ist etwas später geworden, als ich
dachte; ist dir die Zeit nicht lang geworden?“
„Nein,“ antwortete er, „wie heiß du bist, du hast dich gewiß um
meinetwegen bei der Arbeit übereilt.“
Liebevoll streicht sie ihm die Haare aus der Stirn. „Du weißt
doch, daß ich keine Ruhe habe, wenn du so allein hier sitzest. Die
Kinder setzen das Heu fertig auf Kegel. Jetzt mußt du aber hinein¬
gehen; es weht schon kühl vom Tale her.“
Sie faßt ihn unter die Arme, und, mehr getragen als geleitet, be¬
gibt sich der Kranke ins Haus. Geschäftig geht nun die Frau hin und
her, das Essen zu bereiten. Überall folgen ihr die Augen des Mannes.
2*