A. v. Chamisso. 
19. Drauf schreiten hinaus die beiden, und draußen auf dem Plan 
Vollbringt der Derwisch die Bräuche, wie er's beim Eintritt getan. 
Der Schatz verschließt sich donnernd; ein jeder übernimmt 
Die Hälfte der Kamele, die ihm das Los bestimmt. 
20. Sie brechen auf und wallen zum Quell der Wüste vereint, 
Wo sich die Straßen trennen, die jeder zu nehmen meint; 
Dort scheiden sie und geben einander den Bruderkuß; 
Abdallah zeigt sich erkenntlich mit tönender Worte Erguß. 
21. Doch wie er abwärts treibet, schwillt Neid in seiner Brust; 
Des andern vierzig Lasten, sie dünken ihn eigner Verlust: 
Ein Derwisch solche Schätze, die eignen Kamele, — das kränkt! 
Und was bedarf der Schätze, wer nur an Allah denkt? 
22. „Mein Bruder, hör', mein Bruder!“ — so folgt er seiner Spur — 
„Nicht um den eignen Vorteil, ich denk' an deinen nur; 
Du weißt nicht, welche Sorgen, und weißt nicht, welche Cast, 
Du Guter, an vierzig Kamelen dir aufgebürdet hast. 
23. Noch kennst du nicht die Tücke, die in den Tieren wohnt; 
O glaub es mir, der Mühen von Jugend auf gewohnt, 
Hersuch' ich's wohl mit achtzig, dir wird's mit vierzig zu schwer, 
Du führst vielleicht noch dreißig, doch vierzig nimmermehr.“ 
2q. Darauf der Derwisch: „Ich glaube, daß recht du haben magst; 
Schon dacht' ich bei mir selber, was du, mein Bruder, mir sagst. 
Nimm, wie dein Herz begehret, von diesen Kamelen noch zehn! 
Du sollst von deinem Bruder nicht unbefriedigt gehn.“ 
25. Abdallah dankt und scheidet und denkt in seiner Gier: 
Und wenn ich zwanzig begehrte, der Cor, er gäbe sie mir. 
Er kehrt zurück im Laufe, es muß versuchet sein; 
Er ruft, ihn hört der Derwisch und harret gelassen sein. 
26. „Mein Bruder, hör', mein Bruder, o traue meinem Wort: 
Du kommst, unkundig der Wartung, mit dreißig Kamelen nicht fort; 
Die widerspenstigen Tiere sind störriger, denn du denkst, 
Du machst es dir bequemer, wenn du mir zehen noch schenkst.“ 
27. Darauf der Derwisch: „Ich glaube, daß recht du haben magst; 
Schon dacht' ich bei mir selber, was du, mein Bruder, mir sagst. 
Nimm, wie dein Herz begehret, von diesen Kamelen noch zehn! 
Du sollst von deinem Bruder nicht unbefriedigt gehn.“ 
28. Und wie so leicht gewähret, was kaum er sich gedacht, 
Da ist in seinem Herzen erst recht die Gier erwacht; 
Er hört nicht auf, er fordert, wohl ohne sich zu scheun, 
Noch zehen von den zwanzig und von den zehen neun. 
29. Das eine nur, das letzte, dem Derwisch übrig bleibt— 
Noch dies ihm abzufordern, des Herzens Gier ihn treibt; 
Er wirft sich ihm zu Füßen, umfasset seine Knie: 
„Du wirst nicht Nein mir sagen, noch sagtest du Nein mir nie.“
	        
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