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schen Volkes. Nach der Bevölkerunngszahl von 1871 kommen auf je
100 000 Deutsche ein Abgeordneter, deren Zahl 397 beträgt. Wählen
darf jeder Deutsche, der 25 Jahr alt ist, die bürgerlichen Ehrenrechte
besitzt und nicht Armenunterstützung erhält. Die Wahl ist direkt und ge¬
heim, d. H. jeder Wähler schreibt den Namen desjenigen, den er wählen
will, auf einen Zettel; dieser wird so zusammengefaltet, daß man den
Namen nicht sehen kann, und dann abgegeben. Zum Abgeordneten für
den Reichstag kann jeder gewählt werden, der 25 Jahre alt ist.
Der Reichstag wird alljährlich vom Kaiser zusammenberufen. Die
Gesetzesvorlagen, welche der Bundesrat beraten hat, werden vom Reichs¬
tage noch einmal beraten und angenommen oder abgelehnt. Der Reichs¬
tag hat zuzustimmen, ob Steuern oder Zölle eingeführt werden sollen,
ob die Einnahmen und Ausgaben des Reiches in der Weife geschehen
sollen, wie sie der Bundesrat vorschlägt. Auch Verträge mit fremden
Staaten müssen vom Reichstage genehmigt werden.
c) Michten der Untertanen. 1. Die Unterthanen sind der Obrig¬
keit Gehorsam schuldig, denn sie ist von Gott eingesetzt. Die Auffor¬
derung zum Ungehorsam und der Widerstand gegen Beamte, welche ihr
Amt ausüben, wird bestraft. Auch Vertrauen sind wir der Obrigkeit
schuldig.
2. Der Staat braucht Soldaten zur Verteidigung, Beamte, um
die Ordnung aufrecht zu erhalten, er muß Richter, Geistliche und Lehrer
besolden. Das Geld dazu erhält er durch die Steuern. Es giebt direkte
Steuern, wie die Einkommen-, Grund- und Gewerbesteuern, und indirekte,
wie die Zölle auf Salz, Tabak, Bier, Kaffee, Zucker. Das deutsche
Reich erhebt nur indirekte Steuern.
Auch zur Zahlung der Steuern ist jeder Unterthan verpflichtet.
Christus sagt: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist." Wer die
Steuern nicht zahlt, wird gepfändet, wer den Staat betrügt, um weniger
Steuern zu zahlen als er soll, muß hohe Strafe zahlen.
3. Zum Schutze gegen die äußeren Feinde haben wir ein Heer unb
eine Flotte. Jeder Deutsche ist verpflichtet im Heere zu dienen, und wird
mit Gefängnis- oder Geldstrafe bestraft, wenn er sich der Wehrpflicht zu
entziehen versucht. Die eingezogenen Soldaten dienen gewöhnlich drei
Jahre unter ber Fahne, gehören bann vier Jahre zur Reserve, fünf Jahre
zur Lanbwehr ersten Aufgebots unb bis zum 39. Jahre zur Lanbwehr
zweiten Aufgebots. Wer wegen geringer körperlicher Fehler nicht brei
Jahre bienen kann, kommt zur Erfatzreferve unb hat brci Übungen mit¬
zumachen. Alle wehrfähigen Deutschen, bie nicht unter ber Fahne bienen,
nicht zur Reserve unb zur Lanbwehr gehören, bilben ben Lanbstnrm.
Er umfaßt alle Männer vom 17.—45. Lebensjahre.
d) Rechte der Unterthanen. Der Staat hat bie Unterthanen zu
schützen gegen Angriffe von außen, er schützt bie persönliche Freiheit,
ihr Eigentum, ihren guten Namen burch bie Gerichte unb bie Polizei.
Jeber Deutsche besitzt ferner bas Recht, sich friedlich in geschlossenen
Räumen zu versammeln (Vereinsrecht), seine Meinung burch Wort unb
Schrift zu äußern, foweit bies nicht ben Gesetzen wiberspricht. Jeber
Deutsche hat bas Recht, in jedem deutschen Staate sich niederzulassen;