212 Vom Tode Friedrichs des Großen bis zum Ende der Freiheitskriege. 
die ganze Staatsordnung umgestaltet wurde; wurde der Bauer von der Erbunter¬ 
tänigkeit, den Diensten und Fronden befreit, so mußte auch die Trennung von Stadt 
und Land, die Akzise, das Zunftwesen fallen, wurden die Vorrechte des Adels ab- 
gefchafft, so mußte ihm auch gestattet werden, bürgerliche Gewerbe zu betreiben, 
Bauerngüter aufzukaufen, kurz die Monarchie bedurfte einer Reform an Haupt und 
Gliedern, sobald man einmal erkannte, daß die alten Formen der Gesellschaft sich 
überlebt hatten. 
6. Im Heerwesen wagte der König nicht, die Reform¬ 
gedanken eines Scharnhorst, Hippel, Vincke, welche die Umwandlung des 
alten Söldnerheeres in ein Volksheer forderten, durchzuführen. 
„wenn der hochmütige, alte Feldmarschall Möllendorf jeden Neuerungs¬ 
vorschlag mit seinem schnarrenden »das ist mir zu hoch« begrüßte, dann wollte der 
König — er hat es später bitter bereut — nicht klüger sein als die Grauköpfe von 
bewährtem Ruhme." Friedrich Wilhelm III. war empört über den Hochmut der 
Offiziere und ließ doch die ausschließliche Besetzung der Offizierstellen durch Adlige 
bestehen. „In manchen Kreisen des Offizierkorps rührte sich ein frischer, wissen¬ 
schaftlicher Sinn, ein lebendiges Verständnis für die Gegenwart, . . . doch der 
herrschende Ton blieb gleichwohl noch sehr geistlos. Die meisten alten Offiziere trugen 
geflissentlich ihren Bildungshaß zur Schau und verhehlten nicht ihre Verachtung gegen 
den Schulmeister Scharnhorst. . . . Die ewige Wiederholung derselben Paradeküuste mit 
denselben alten Berufssoldaten wurde für feurige Naturen unerträglich. . . . Der ganze 
Jammer dieses Friedensheeres verkörpert sich in dem tragischen Schicksal des Prinzen 
Louis Ferdinand; ein trauriger Anblick, wie der freie und kühne, zu allem Herrlichen 
geborne junge Held in wildem Genuß und tollen Abenteuern seine Kraft vergeudete, 
weil er ein leeres Dasein nicht zu tragen vermochte. Mehr und mehr geriet der 
eigentliche Zweck des Heerwesens in Vergessenheit. Der Orden pour le mérite, vor¬ 
dem nur auf dem Schlachtfelde verliehen, wurde jetzt schon zum Lohne für die 
Heldentaten des friedlichen Manöverfeldes. pedantische Kleinmeisterei überwachte 
die Länge der Zöpfe, die Form der Heubündel, das Geklirr der präsentierten 
Musketen, aber die Geschütze waren der Ersparnis halber ohne Bespannung. Eine 
majestätische Langsamkeit schien der friderizianischen Armee allein noch würdig zu 
sein; es kam vor, daß ein Artillerieregiment für den Marsch von Berlin nach Breslau 
vier Wochen brauchte. Der gemeine Soldat, der die gewohnte Kundschaft für seine 
Handwerksarbeit nicht verlieren mochte, dachte ebenso friedfertig wie die Mehrzahl 
der ergrauten Kapitäne, denen die Beurlaubungen der Friedensjahre einträgliche 
Ersparnisse für den eigenen Beutel brachten. Es schien, als sollte der preußische 
Degen nie mehr aus der Scheide fahren, wirklich erfüllte sich die Weissagung 
Friedrichs, der einst die Lieblingskinder des Mars gewarnt hatte, sie möchten ihre 
männlichen Sitten nicht verderben lassen durch Trägheit, Hochmut, Weichlichkeit." 
(Treitschke.) 
4. Die auswärtige Politik Friedrich Wilhelms III. beschränkte 
sich trotz der immer bedrohlicher werdenden Übermacht Frankreichs 
auf eine kleinmütige, engherzige Neutralität, bis der preußische Staat 
in ungünstigster isolierter Lage dem Angriffe des überlegenen Gegners preis¬ 
gegeben war. 
a. Der schlichten Biederkeit des neuen preußischen Königs blieb das 
Verständnis für die letzten Ziele der ränkevollen Staatskunst 
Napoleons ebenso verborgen wie die Einsicht in die gefährliche 
Lage, in die Preußen durch die hinterhältige und doch so kurzsichtige Schlauheit 
seiner Diplomaten geraten war. Seine allzu ängstliche Bedachtsamkeit scheute 
vor jedem kräftigen Entschlüsse zurück; in der Erhaltung der Neutralität sah 
er das Heil seines Staates. „Den Krieg abzuwenden — so lautet bei ihm
	        
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