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Inwiefern war der Kaiser Weltherrscher? Seine Rechte im Kirchenstaate.
wäre ein mächtigerer König in der abendländischen Christenheit zu finden gewesen als Otto I.?
Durch diese Beispiele ist schon hinlänglich angedeutet, daß zur Kaiserwürde eine Weltmacht
im strengen Sinne des Wortes gar nicht erforderlich war. Wie schon die alten Römer ihr
Reich ein Weltreich nannten, obwohl es nicht die ganze Welt umfaßte, so genügte zur Ver¬
wirklichung der kaiserlichen Weltherrschaft während des Mittelalters eine im Abendlande
prädominierende Großmacht. Sie reichte vollständig hin, um die Pläne des Kaiser¬
tums zu verwirklichen; ja, es wäre eine zu gewaltige Macht nicht einmal wünschenswert ge¬
wesen; denn hätte ein vielleicht herrschsüchtiger Kaiser eine Macht, der kein Gegengewicht ent¬
gegengestanden, in seiner Hand vereinigt, wäre die Freiheit der Völker und die Unabhängig¬
keit der Kirche ernstlich bedroht gewesen.
Nicht umsonst widersetzten sich die Päpste beharrlich einer Vereinigung des Königreiches
'beider Sizilien mit der Kaiserkrone; sie wußten nur zu gut, daß ihre Freiheit dadurch wirk¬
lich gefährdet sei. Mit Recht glaubt daher ein ausgezeichneter deutscher Geschichtschreiber es
als eine wahre Vorsehung bezeichnen zu müssen, daß es während des ganzen Mittelalters
nie gelungen ist, Deutschland in eine einheitliche Militärmonarchie umzugestalten; denn bei
der damaligen Größe Deutschlands würde eine so gewaltige Macht die Freiheit im Innern,
den Frieden Europas, die Unabhängigkeit der Kirche fortwährend bedroht haben.
11. Faßt man speziell die Kaiserwürde als die Schirmvogtei der römischen Kirche
ins Auge, so wird man dem Kaiser gewisse Befugnisse im Kirchenstaate nicht absprechen
können. Er befand sich in einer ähnlichen Lage wie die Schutzvögte der Klöster und Diözesen.
Aus ihrer Pflicht wirksamen Schutzes ergaben sich für diese von selbst auch bestimmte Rechte,
und so sehr besonders die Konzilien des 13. Jahrhunderts gegen die Übergriffe der Schirm¬
vögte eifern, suchten sie doch deren wohl erworbene Rechte nicht zu schmälern. Mit den
Einkünften, welche ihnen „von Rechts wegen" zustanden, zufrieden, sollten sie keinen Einfluß
auf die kirchlichen Stellen gegen das Recht uud über besondere Vergünstigungen hinaus be¬
anspruchen. So waren auch die Kaiser durch Pflicht, Herkommen und freiwilliges Zugeständ¬
nis der Päpste berechtigt, jene Maßregeln zu treffen, welche zur Verteidigung des
Kirchenstaates notwendig waren, und Leo III. sah darin so wenig einen Eingriff in seine
Rechte, daß er vielmehr die getreue Befolgung der Anordnungen des Schirmvogtes eidlich
geloben ließ. Keineswegs standen aber deshalb dem Kaiser die Souveränitätsrechte
im Kirchenstaate zu. Niemand wird es einfallen, die Schirmvögte der Klöster auch zu
Eigentümern der Klostergüter zu erklären, oder ihnen etwa das Recht zusprechen, frei über
dieselben zu verfügen, den Abt einzusetzen oder unter Umständen zu verdrängen. Mit dem
Recht zu den notwendigen Verteidigungsmaßregeln war natürlich auch ein Anspruch auf
materielle Unterstützung verbunden. Wenn Hadrian IV. sich über die Lieferungen für
das kaiserliche Heerlager beschwerte, so geschah dies wegen der maßlosen und brutalen For¬
derungen der kaiserlichen Beamten; dagegen machte er keine Schwierigkeiten, daß wenigstens
zu gewissen Zeiten, z. B. bei der Kaiserkrönung, das Fodrum von den päpstlichen Besitzungen
erhoben werden durfte. Um aber den Kaiser noch mehr zu ehren, trugen die Päpste kein
Bedenken, demselben sogar einen größeren oder geringeren Einfluß auf die Besetzung
des Römischen Stuhles zu gewähren.
Nikolaus II. hatte in feinem bekannten Wahldekrete nicht nur verordnet, daß dem König
Heinrich IV. die schuldige Ehrerbietung und Achtung gewahrt bleibe, sondern er erklärte sich
überdies bereit, auch bei feinen Nachfolgern in der kaiserlichen Würde dieselben Befugnisse
anzuerkennen, wenn sie thuen persönlich vom Apostolischen Stuhl bewilligt worden seien.
Anselm von Lueca bezeichnet die vom Papste gemachten Zugeständnisse näher dahin, daß,