236 Jugendleben des heiligen Bernhard. Sein Eintritt in den Zisterzienserorden.
Bernhard von Clairvaux.
Wenn irgend einer, so kann Bernhard von Elairvaux „der Mann seines Jahrhunderts"
heißen, das in den größten Angelegenheiten des Staates wie der Kirche von ihm Geist, An'
regung und Weisung empfing.
Bernhard wurde im Jahre 1091 zu Fontaines in Burgund unweit Dijon geboren.
Sein Vater Tesielin war ein angesehener Ritter. Auf seine Erziehung übte die fromme
Mutter Aletha den größten Einfluß. Alle ihre sieben Kinder, sechs Söhne und eine Tochter,
brachte sie, sobald sie das Licht der Welt erblickten, zum Altare, sie Gott zu weihen. Der
dritte unter ihren Söhnen zeigte schon in der Kindheit eine tief religiöse Gesinnung, welche
sich an der Hand einer solchen Mutter frühzeitig auf das reichste entfaltete. 14 Jahre alt
verlor er feine Mutter. Da geriet der Jüngling in eine Gesellschaft, durch welche er von
jener früheren Richtung abgezogen wurde. Doch war diese zu tief in seinem Gemüte begründet,
als daß nicht von ihren Spuren eine mächtigere Gegenwirkung gegen alle späteren Eindrücke
hätte ausgehen müssen. Oft stellte er an sich jene große Frage: „Wozu bist du in die Welt
gekommen?" Er beschloß, von den weltlichen Banden sich ganz frei zu machen und Mönch
zu werden. Seine Brüder, denen dies nicht willkommen war, suchten ihn davon abzubringen
und der Liebe zum Klosterleben durch eine andere der edlen Richtungen dieser Zeit ent¬
gegenzuwirken, die in Frankreich besonders entfachte wissenschaftliche Begeisterung. Ihr Be¬
mühen hatte wirklich Erfolg; aber das Andenken an feine Mutter rief immer wieder die
Eindrücke seiner Kindheit in ihm hervor, er glaubte ihr Bild vor sich zu sehen und ihre
mahnende Stimme zu hörnt. Als er einst auf dem Wege war, seinen Brnder, der an der
Belagerung eines Schlosses teilnahm, zu besuchen, wurde er von so geheimnisvollen Gefühlen
übermannt, daß er in eine am Wege stehende Kirche trat, dort mit einem Strome von Tränen
sein Herz vor Gott ausschüttete und sich ihm zur Ausführung seines Lebensplanes weihte.
Es charakterisiert ihn, daß er das arme Kloster Citeaux, das Musterbild des strengsten
Mönchslebens dieser Zeit, von welchem viele andere zurückgeschreckt wurden, erwählte.
Damals zeigte sich das erste Mal jene auffallende Erscheinung im Leben dieses großen
Mannes, welche uns während seines Lebens so oft begegnet, die wunderbare, alles hinreißende
Macht feines Beispiels. Bernhard trat nicht allein in den Orden. Dreißig der edelsten
Jünglinge und Männer folgten ihm. Und nicht nur ahmten nach vier Jahren fein Vater,
bann fein Oheim, sondern auch feine übrigen fünf Brüder, von denen einer bereits durch
Waffentaten in Spanien Ruhm und Glücksgüter errungen, fein Beispiel nach; auch feine
Schwester weihte sich mit Zustimmung ihres Gemahls dem geistlichen Leben. Wie gewaltig
er- die Seelen nach sich zog, erhellt aus dem Zeugnisse eines seiner Lebensbefchreiber, daß
Mütter ihre Kinder, Frauen ihre Gatten, Freunde die Freunde versteckten, um sie gegen seine
Aufforderung zu verwahren. Fürsten und Fürstinnen, Grafen und Edelfrauen, Personen
jeden Standes drängten sich mit Hintansetzung von Macht, Gütern und Genüssen zu den
religiösen Genossenschaften.
Bernhard wurde Mönch mit ganzer Seele; in den körperlichen Arbeiten wie in den
geistlichen Übungen suchte er dem Ideal dieses Standes zu entsprechen. Er selbst mußte sich
nachher darüber anklagen, daß er in den ersten Jahren durch übertriebene Strenge seinen
Körper zu sehr geschwächt hatte und sich dadurch in feinen Amtsgefchäften nachher gehindert
fand. Aber feine vielseitige Tätigkeit beweist, wie er durch die Kraft des Geistes den schwachen