Full text: Handbuch der deutschen Geschichte (3)

anderen Ufer ber Elbe in ber Nähe bes fränkischen Heeres umherstreifte, 
warb er von Sehnsucht ergriffen, einmal zu schauen, wie bie Christen 
ihren vielgepriesenen Gott verehrten. Das Weihnachtsfest kam heran- 
Da hüllte sich Wittekinb in Bettlerkleiber unb schlich sich beim Herein¬ 
brechen bes Morgenrots ins fränkische Lager. Unerkannt schritt er burch bie 
Reihen ber Krieger, bie sich zum Gottesdienste anschickten, unb betrat bie Kirche. 
Da würben nicht Pferbe noch Rinber geopfert, fonbern anbächtig kniete Karl 
mit allen feinen Großen bor bem Altare, bas heilige Altarsfakrament zu em¬ 
pfangen. Der Weihranchbuft wallte empor, unb bie Gesänge ber Priester 
priesen bie geweihte Nacht, in welcher bie Herrlichkeit bes Heilanbes sich ben 
Menschen offenbarte. Da würbe Wittekind tief ergriffen von der Herrlichkeit 
des Gottesdienstes ber Christen, seine Augen füllten sich mit Thränen, unb 
stumm faltete er bie Hänbe. Es war ihm, als ob bas Chriftuskinb auf bem 
Arme der Jungfrau Maria ihm winke uub zu ihm spreche: „Komm her zu mir". 
Er warf sich vor bem Altare nieder auf bie Kniee, unb als alle erstaunt unb 
verwunbert ihn umringten, sprach er: „Ich bin Wittekind, der Sachsenherzog, 
gebt auch mir die Taufe, daß ich ein Christ werde, wie ihr!" ©eine Bitte wurde 
ihm gewährt, Karl selbst wollte sein Pate sein. Wittekind war von nun an 
ein treuer Bekenner des christlichen Glaubens. Er trug Sorge, daß die christlichen 
Kirchen wieder aufgebaut wurden, die er früher als Heibe zerstört, unb wo er 
einst Götzenbilder aufgerichtet hatte, ba finb von ihm christliche Kirchen errichtet 
worben. Seine letzten Lebenstage verbrachte er zu Enger in Westfalen, und in 
der Kirche daselbst liegt er begraben. 
3. a) Der gewaltige Eindruck, den Karls Persönlichkeit und feine 
Heeres macht aus die Zeitgenossen ausübte, wird uns recht anschaulich ge¬ 
schildert in einer Erzählung mittelalterlicher Chronisten: 
König Karte Ankunft vor 
Zu jener Zeit lebte am Hose des Desiderins ein Mann mit Namen 
Dtfar, einer der vornehmsten fränkischen Fürsten, welcher beim König Karl 
in Ungnade gefallen war und das Land hatte räumen müssen, worauf er bei 
dem Könige der Longobarden eine Zuflucht gefunden. Als nun bie Nachricht 
erscholl, Karl ziehe mit seiner Heeresmacht gegen Pavia heran, wollte Desiberius 
seinen Gegner mit eigenen Augen sehen, rief bett Dtkar zu sich unb stieg mit 
ihm auf einen sehr hohen Turm, von wo sie weit unb breit bie Ankommenben 
erblicken konnten. 
Da zeigte sich zuerst der Troß des fränkischen Heeres, der in dichten 
Hausen gegen die Festung anrückte. „Ist Karl unter diesem großen Heere?" 
fragte Desiderins. „Noch nicht!" antwortete Dtkar. Hierauf kam das Volks¬ 
heer, gesammelt aus bem ganzen weiten Frankenreich; unb wie Desiberius biefe 
gewaltige Menge sah, sprach er mit Zuversicht: „Gewiß zieht Karl mit biesen 
Truppen". Dtkar erwiberte: Immer noch nicht, auch jetzt noch nicht!" Da 
würbe es bem Könige schwül zu Mute, unb er sprach: „Was sollen wir anfangen, 
wenn noch mehrere mit ihm kommen?" „Wie er kommen wirb," antwortete 
jener, „sollst bu gewahr werben; was mit uns werben soll, weiß ich nicht." 
Unb siehe, ba sie noch sprachen, erschien bas Hausgesinbe bes Königs Karl, bas 
niemals müßige. Erstaunt hub Desiberius an: „Darunter ist boch König Karl". 
Aber Dtkar sprach: „Noch nicht, auch jetzt noch nicht". Nächftbem zeigten sich
	        
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