Full text: Deutsche Stammesgeschichte, deutsche Kaisergeschichte (Band 1)

262 Zweites Buch. I. Abschnitt: Bilder aus der Zeit der sächsischen Kaiser. 
sein sollten. Ersteres wurde von Thüringern und Sachsen unschädlich ge¬ 
macht, und letzteres sammelte infolgedessen die ausgesandten Streifkorps, um 
den Rückzug anzutreten. Jetzt glaubte Heinrich den Augenblick gekommen. 
Im Thale der Unstrut, bei Rietheburg, — Riada nennt Widnkind von Kor- 
vei den Ort — hatte er das sächsische Reiterheer gesammelt, schickte aber 
eine Abteilung zu Fuß den Feinden entgegen, die dann vor den Ungarn 
zurückwich und sie mit sich nach dem Orte zog, wo der König mit der 
schweren Reiterei zum Einhauen bereit hielt. Als die Ungarn auf diese 
stießen, erkannten sie die Falle und wandten sich zu schleunigem Rückzug, 
und so schnell stürmten sie auf ihren flüchtigen Rossen davon, daß Heinrich 
ihnen mit den Seinen kaum folgen und ihnen nur noch geringe Verluste 
beibringen konnte. Zu einem ernsten Kampfe also war es gar nicht ge¬ 
kommen, aber die moralische Wirkung dieses ruhmreichen 15. März 933 war 
so groß, als ob die Sachsen eine siegreiche Schlacht geliefert, die Ungarn 
eine schwere Niederlage erlitten hätten. Mit dem verlassenen Lager der 
Fliehenden fiel reiche Beute in die Hände der Königlichen, und zahlreiche 
Gefangene, die zu elender Knechtschaft hatten weggeschleppt werden sollen, 
freuten sich der unerwarteten Rettung. Die Ungarn aber, deren Sache ge¬ 
ordnete Kriegsführung nicht war, ließen Sachsen hinfort unbehelligt, und 
zwanzig Jahre ist Deutschland von ihnen nicht beunruhigt worden. Das 
hat bei der Nachwelt auch von dem Kampf, der es bewirkt, eine entsprechend 
großartige Vorstellung entstehen lassen und die angebliche Schlacht, die man 
späterhin mit Liutprand irrigerweise nach Merseburg verlegte, zu dem vor¬ 
nehmsten Ruhmestitel Heinrichs I. werden lassen. 
Die Zeitgenossen urteilten anders. Sachsen gegen die Ungarn zu schützen, 
hatten die von Heinrich getroffenen Verteidigungsmaßregeln genügt. Aber 
ihre vornehmste Verwendung fand die erneute Kriegstüchtigkeit der Sachsen 
gegen die Feinde unmittelbar an der Grenze. Daß Heinrich 934 den Dänen¬ 
könig Gorm den Alten besiegte und tributpflichtig machte, war ein viel 
größerer Erfolg als die Zersprengung der schon auf dem Rückzug befindlichen 
ungarischen Reiterei. Denn dort im Norden standen für die Zukunft der 
deutschen und der christlichen Kultur weit größere Interessen auf dem Spiele, 
und mehr als durch den Ungarnsieg hat Heinrich durch seine Siege über 
Slawen und Dänen dazu beigetragen, die Fehler feiner Vorgänger gut zu machen. 
Dadurch war auch die Stellung Heinrichs zu den anderen Stämmen 
gewandelt. Die Selbständigkeit, die er ihnen hatte einräumen müssen, blieb 
freilich unverändert, aber natürlich steigerten feine Erfolge im Felde, die dem 
ganzen Reiche zu gute kamen, feine moralische Autorität, hoben und erwei¬ 
terten Ansehn und Einfluß des Königs überhaupt. Williger als bisher 
folgten auch die anderen Stämme feiner Leitung in allgemeinen Angelegen¬ 
heiten; selbst Lothringen war in den Verband des Reiches zurückgekehrt. 
Der ständische Gegensatz, der das Reich unter Arnulf, Ludwig dem Kinde 
und Konrad I. zerrissen hatte, war nicht bloß in Sachsen beglichen: das 
Beispiel, das Laienadel und Episkopat dort durch ihre gemeinsame Arbeit 
im Dienste der nationalen Wohlfahrt gegeben, fand anderwärts Nachahmung. 
Von der Ungarnfurcht befreit hob sich der Ackerbau; in Sachsen entfaltete 
sich ein bisher unbekanntes städtisches Leben und zeigten sich auch im geistigen
	        
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