Full text: Deutsche Stammesgeschichte, deutsche Kaisergeschichte (Band 1)

498 Zweites Buch. II. Abschnitt: Bilder aus der Zeit der fränk. u. stauf. Kaiser. 
der Christenheit darstellen müssen. Da ihm das nicht gelang, da es schon 
im 11. Jahrhundert allenthalben von unübersteiglichen Grenzen umgeben 
ward, so mußte es einer Gewalt unterliegen, die dazu imstande war, die 
wirklich gesamten Nationen des Abendlandes in allgemeiner Gläubigkeit um 
sich zu sammeln. Politische und kirchliche Geschichte hängen zu allen Zeiten 
eng zusammen, niemals aber enger als damals. Die höchste geistliche Macht 
ist zugleich die höchste weltliche. Sie ist es darum, weil sie die aus der 
Entwicklung der Vergangenheit emporstrebende Idee ausdrückt, von der dann 
wieder alles Thun und Bestreben des Abendlandes ausgeht. 
Zwar bestanden allenthalben Staatsgewalten; allein der Klerus bildet 
eine sie allesamt umfassende Macht, der die ihre im Innern lähmt und 
zersetzt. In früheren Jahrhunderten hatte die Geistlichkeit, vor allem das 
Bistum, in den verschiedenen Ländern eine selbständige Haltung Rom gegen¬ 
über eingenommen; die weltlichen Obrigkeiten hatten an ihren Bischöfen eine 
Stütze in ihren Konflikten mit dem päpstlichen Stuhle gefunden. Jetzt ist 
die Unabhängigkeit aller Volks- und Landeskirchen verschwunden; es giebt 
nur lokale Behörden der universalen Kirche: der Bischof, dessen Befugnis 
überall so tief in die weltlichen Angelegenheiten eingreift, ist dabei nichts 
anderes als das Organ des Papstes, sein Vertreter, sein Diener. Es kommt 
hinzu, daß die großen Fürstentümer auch sonst fast sämtlich von einer Auf¬ 
lösung ihrer zentralen Macht betroffen sind: aristokratische Gewalten sind 
hier wie dort an deren Stelle getreten. Auch die mächtigsten Reiche der 
Christenheit sind deshalb dem Einflüsse des Papsttums erlegen. Frankreich 
ist ihm tief ergeben, denn es verdankt ihm den Fortschritt seiner national¬ 
politischen Entwicklung; England ist von ihm besiegt und unterworfen; in 
Deutschland war der letzte Kaiser durch den Papst, wie auf den Thron er¬ 
hoben, so vom Throne gestürzt worden. In allen Streitigkeiten der spanischen 
wie der nordischen Reiche führt die Kurie das entscheidende Wort. Die 
weltlichen Stände, welche über die Schranken der Staaten hinaus sich als 
große Genossenschaften fühlen, betrachten sich zugleich in gewisser Hinsicht 
als einen Anhang der geistlichen. Das ritterliche Element, dessen Besitztümer 
von Palästina und Andalusien bis in den hohen Norden reichen, unterwirft 
sich der Zucht des Klosters. Das bürgerliche Leben, dessen Thatkraft den 
Welthandel lenkt, beruht in seinem täglichen Gange großenteils auf den 
religiösen Verbrüderungen. Die Unternehmungen der Völker selbst werden 
von geistlichen Impulsen beherrscht: die Romanisierung der pyrenäischen 
Halbinsel, die Germauisierung der baltischen Regionen erscheinen als großartige 
Rückwirkungen der Kreuzzüge. 
Ich möchte es wiederholen: die welthistorische Grundlage, auf welcher 
die Hierarchie des Papsttumes im 13. Jahrhundert beruhte, erkenne ich darin, 
daß sie die Einheit der abendländischen Nationen, ihre große gemeinschaftliche 
Tendenz, die mit der Pflanzung und Hegung des Christentums so eng ver¬ 
knüpft ist, darstellt und befördert, bei weitem besser und entschiedener als das 
Kaisertum, wodurch es eben geschah, daß es dieses überflügelte. Es gelang 
ihm das äußerlich durch dieselben Mittel geschickter Politik und allmählicher 
Kraftentwicklung in Krieg und Frieden, durch welche die Mächte der Erde 
überhaupt gegründet werden. Aber diese päpstliche Weltherrschaft hatte zu-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.