Full text: Deutsche Stammesgeschichte, deutsche Kaisergeschichte (Band 1)

Aückölick ans die Kaisergeschichle. 
K. W. Nitz sch e, Geschichte des deutschen Volkes. 1. Band. 2. Aufl. Leipzig 1892. 
Es ist bekannt, daß das deutsche Volk drei Jahrhunderte hindurch, von 
etwa 950 bis 1250, eine herrschende Stellung in Europa einnahm, daß es 
damals trotz wiederholter innerer Kämpfe, als Ganzes, in zusammenhängender 
und schlagfertiger Verfassung über eine Fülle politischer und militärischer Kräfte 
verfügte, wie nachher nicht mehr. In derselben Zeit, wo diese seine Macht¬ 
bildung sich aufzulösen begann, vollzog sich bei den benachbarten Völkern die 
innere Kräftigung ihrer nationalen Bildung, ward der Grund zu der nationalen 
Macht Spaniens, Frankreichs, der skandinavischen und slawischen Reiche gelegt. 
Dieser Gegensatz ist so auffallend, daß man stets, und unzweifelhaft 
mit Recht, diejenige Periode, wo er eintritt, als den beklagenswerten Wende¬ 
punkt unserer Geschichte bezeichnet hat. Wie einig aber auch die meisten 
unserer neueren Forscher darin sind, daß die Entwickelung unserer nationalen 
Bildung irgendwann von der gesunden Entfaltung ihrer natürlichen Anlage 
abgelenkt wurde, so verschieden bezeichnen sie doch den Punkt, wo dies ge¬ 
schehen sei. Erst neuerdings ist wieder eine Ansicht ausgestellt worden, die 
der genialen Ausführung Justus Mösers in seiner Vorrede von 1768 sich 
sehr nähert und die allerdings den Zeitpunkt jener unglücklichen Wendung 
ziemlich früh ansetzt. Man hat ganz wie Möser betont, daß die ursprüngliche 
Verfassung vor der Ausbildung des Lehnswesens der gesunde Ausgangs¬ 
punkt der deutschen Entwickelung hätte werden können, daß aber vor allem 
der Verfall der allgemeinen Wehrpflicht, d. H. die Einführung und Ausbildung 
des Lehnsdienstes, die normale Erhaltung und Fortbildung dieser Verfassung 
vereitelt habe. Mag man sich nun als die Grundlagen jener ursprünglichen 
Verfassung in ihrem frühesten Stadium, wie Möser sich ausdrückte, „die ge¬ 
meinen Landeigentümer" und ihre „hohe und gemeine Ehre" denken, oder, 
wie Roth nur im Hinblick auf die merowingische Verfassung es bezeichnete, 
den „gemeinsamen Unterthanenverband" mit der gemeinsamen Gau- und 
Centenenverfassung unter dem fränkischen Königtum, immer wird das, was 
wirklich entstand, als ein Verfall oder eine Verschlechterung bezeichnet. 
Wesentlich verschieden von dieser Ansicht ist diejenige, als deren 
wichtigster Vertreter v. Sybel auftrat. Sie sieht in Heinrich I. den eigentlichen 
Gründer derjenigen deutschen Verfassung, welche dem inneren Geiste des 
Volkes am vollkommensten entsprochen haben würde, aber ebenso bestimmt 
schon ^ in seines Sohnes italienischer und kirchlich-imperialistischer Politik die 
Vernichtung aller durch Heinrich angebahnten gesunden Entwickelung. 
Diese Ansichten widersprechen nun durchaus den Anschauungen der 
reichen und glänzenden Überlieferung der ottonischen und der ersten salischen 
Kaiser. Während daher von den Vertretern dieser neueren Auffassung betont
	        
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