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„versanken die Männer, welche die obersten Vertreter des moralischen
Prinzips auf Erden sein sollten, in den Sumpf unverhüllter Jm-
moralität" (Hauck III, 206).
Die unvermeidliche Folge dieser traurigen Zustände war, daß
der Einfluß Roms auf die Völker jenseits der Alpen merkbar zurück¬
ging. Die Päpste haben kein Verdienst um die Bekehrung der slawi¬
schen Völker (vgl. dagegen II § 29, 5 ff. Gregor II. und Boni-
satius!), die deutsche Kirche war eine Nationalkirche geworden, die
politische Verwendung des Episkopats durch Otto I. ließ Rom ge¬
schehen.
So standen um 9 6 0 Papsttum und deutsches
Königtum nebeneinander: das eine sank immer
tiefer, das andere erhob sich immer höher. Sollten
sie nicht in Beziehung zueinander treten?
So gesunken das Papsttum auch war, seine Ansprüche auf die
oberste Leitung der katholischen Christenheit, also auch der deut¬
schen Kirche, hielt es doch unerschütterlich fest. In jedem päpst¬
lichen Schreiben, das nach Deutschland kam, las man gewichtige
Äußerungen über die Macht, die Rechte und die Pflichten des aposto¬
lischen Stuhls, etwa in der Form, die 897 Papst Romanus ge¬
braucht hatte: „gleichwie Petrus, der Fürst der Apostel und der
Pförtner des Himmelreichs, durch die Gabe des heiligen Geistes
von dem Herrn die Gewalt zu binden und zu lösen erhalten habe,
also auch der apostolische Stuhl, gestützt auf die kanonische und
königliche Autorität, durch göttliches und menschliches Recht ver¬
pflichtet sei, allen Kirchen Gottes über den ganzen
Erdkreis hin Hilfe und Unterstützung zu gewähren".
Diese Ansprüche wurden beachtet und anerkannt. Die deutschen
Erzbischöfe haben, wie es scheint, regelmäßig das Pallium von Rom
erbeten und erhalten; wie es die Sitte erheischte, legten sie dabei ihr
Glaubensbekenntnis zum Beweis ihrer Rechtgläubigfeit dem Papste
vor (vgl. den Eid des Bonifatins 30. Nov. 722, II § 29, 5); denn er
war der Hüter des Glaubens. Er war auch der Hüter des
kirchlichen Rechts. Wollte man die Besitzungen und Privi¬
legien eines Stifts sichern, so ließ man sie von ihm bestätigen.
Fühlte man sich in dem eigenen Recht verletzt, so suchte man Stütze
und Hilfe in Rom. Ein Kloster schien erst dann am besten gewahrt,
wenn es dem päpstlichen Schutze übergeben wurde. Daß dem römi¬
schen Bischof die oberste Entscheidung in Fragen der kirchlichen Ver¬
waltung zukam, war unbestritten und unbezweiselt. Man ver¬
schmähte es nicht, die Autorität von Konzilienbeschlüssen dadurch
zu erhöhen, daß man die päpstliche Bestätigung dafür in Anspruch