169. Der Schneider in Pensa.
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Bald kam wieder ein Wandersmann und sagte: „Das ist nicht recht, Bursche,
dass du reitest und lässest deinen Vater zu Fuls gehen. Du hast jüngere
Beins? Da sassen beide auf und ritten eine Strecke. Nun kam ein dritter
Wandersmann und sagte: „Was ist das für ein Unverstand, zwei Menschen
auf einem schwachen LTiere! vSollte man nieht einen Stock nebmen und
eueh beide hinabjagen?“ Da stiegen beide ab und gingen zu Puls, rechts
und lnks der Vater und der Sohn und in der NMitte der Esel. Jetzt kam
ein vierter Wandersmann und sagte: „Ihr seid drei wunderliche Gesellen.
ISt's nicht genug, wenn zwei zu Fuls gehen? Gehbt's nicht leichter, venn
einer von euch reitet?“ Da band der Vater dem Esel die Vorderbeine
zusammen, und der Sobhn band ihm die Hinterbeine zusammen; dann zogen
sie einen starken Baumpfahl hindurch, der an der Stralse stand, und trugen
den Esel auf der Achsel heim.
8o weit kann's kommen, wenn man es allen Leuten recht machen vwill.
(Hebel.)
Tiu Eulenspiegel zog einmal
mit andern über Berg und Thal.
So oft als sie zu einem Berge kamen,
ging Till an seinem Wanderstab
den Berg ganz sacht und ganz betrübt hinab;
allein wenn sie berganwärts stiegen,
war Eulenspiegel voll Vergnügen.
„Warum“, fing einer an, „gehst du bergan
so froh,
168. Till Eulenspiegel.
bergunter so betrübt?“ „Ich bin“, sprach
Till, „nun so.
Wenn ich den Berg hinuntergehe,
so denk' ich Narr schon an die Höhe,
die folgen wird, und da vergeht mir denn
der Scherz;
allein wenn ich berganwärts gehe,
so denk' ich an das Thal, das folgt, und
fass' ein Herz.“
(Gellert.)
169. Der Schneider in Pensa.
9 Jahr 1812, als Rußland nimmer Straßen genug für die Kriegsgefan—
Mgenen an der Beresina hatte, ging eine auch durch Pensa, welches für sich
schon mehr als hundert Tagereisen von Lahr oder Pforzheim entfernt ist, und
wo die beste deutsche oder englische Uhr, wer eine hat, nimmer recht geht,
sondern ein paar Stunden zu früh. In Pensa ist der Sitz des ersten russischen
Statthalters in Asien, wenn man von Europa aus hineinkommt. Also wurden
dort die Kriegsgefangenen abgegeben und übernommen und alsdann weiter ab—
geführt in das tiefe, fremde Asien hinein, wo die Christenheit ein Ende hat und
niemand mehr das Vaterunser kennt, wenn's nicht einer gleichsam als eine fremde
Ware aus Europa mitbringt. Also kamen eines Tages mit Franzosen auch 16 rhein⸗
ländische badische Offiziere, die damals unter den Fahnen Napoleons gedient
hatten, über die Schlaͤchtfelder und Brandstätten von Europa, ermattet, krank,
mit erfrornen Gliedmaßen und schlecht geheilten Wunden, ohne Geld, ohne Klei—
dung, ohne Trost in Pensa an und fanden in diesem unheimlichen Lande kein
Ohr mehr, das ihre Sprache verstand, und kein Herz mehr, das sich über ihre
Leiden erbarmte. Als aber einer den andern mit trostloser Miene anblickte:
„Was wird aus uns werden?“ oder „Wann wird der Tod unserm Elende
ein Ende machen?“ oder „Wer wird den letzten begraben?“ — da vernehmen