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Stephan gezeigt wurden. Gegen Süden und Westen hin umgab die
Stadt das Thal Hinnom, welches mit dem vorigen zusammenstieß, wohin
man den von Judas für den Verkaufspreis seines Herrn und Meisters
erkauften Blutacker verlegte, und wo der zur Zeit der Könige von Juda
so berühmte Teich war.
Auf diesem Boden war jeder Platz, welchen die Füße der Kreuzfahrer
betraten, durch des Heilandes und vieler heiligen Männer Wandeln geweiht.
Welches Pilgers Gemüt konnte den andächtigen Empfindungen fich ver¬
schließen, welche die Erinnerung an die Thaten jener Männer weckte?
Während die Kreuzfahrer fich diesen Empfindungen überließen, ord¬
neten die Fürsten die Belagerung. Nach vielen Beratschlagungen ward
beschlossen, die Stadt an der nördlichen Seite von dem Thore, welches
von den Kreuzfahrern den Namen Stephansthor empfing, bis zur Burg
Davids zu belagern, weil von den übrigen Seiten die Erstürmung wegen
der tiefen Thäler unmöglich war. Zunächst an der Burg Davids gegen
Westen, wo der hartnäckigste Widerstand von den Mohammedanern zu er¬
warten war, stellte sich Herzog Gottfried auf mit feinen mutigen Deutschen
und Lothringern. Neben ihm wurde der Eiugang der Burg dem Grafen
Raimund mit seinen Provencalen und dem ritterlichen Tankred zur Be¬
wachung übergeben. Der Herzog Robert von der Normandie und der
Graf von Flandern standen bei der Kirche des hl. Stephanus, und neben
ihnen bis zum St. Stephansthore lagerten sich Graf Reinbold von Oringis,
Ludwig von Monznn, Conon von Montagu und sein Sohn Lambert,
Gaston von Berdeiz, Gerhard von Roussillon, Balduin von Bonrg und
Thomas von Feria. Graf Raimund aber, weil er von seiner Seite, wo
die Burg Davids das unter ihr liegende Thor zu nachdrücklich beschützte
und das ihm gegen Osten befindliche Thal die Erstürmung so sehr er¬
schwerte, die Stadt nicht zu erobern hoffte, verlegte sein Lager auf den
Berg Zion, zwischen der Mauer und der im Thale befindlichen Kirche-
der Mutter Gottes, welche von den Mauern nur eineu Bogenschuß ent¬
fernt ist. Nach der Rechnung der Kreuzfahrer waren aber in der Stadt
sechzigtausend Mohammedaner, welche alle nach den Belohnungen trach¬
teten, die der arabische Prophet denen verheißt, die den Kampf wider die
Ungläubigen wagen.
Doch ward schon am fünften Tage auf des Grafen Raimunds An¬
trieb die Stadt bestürmt, aber mit solcher Heftigkeit, daß bereits die
Vormauer niedergeworfen wurde und auch die Hauptmauer erstiegen
wäre, wenn nicht der Mangel an Sturmleitern die Fürsten bewogen
hätte, durch das Horn die Streiter zur Rückkehr vom vergeblichen Sturm
ins Lager abzurufen.
Als dieser erste Versuch mißlungen, begann eine Belagerung, welche
nicht mindere Beschwerlichkeiten als die von Antiochien hatte. Denn