Full text: Karten und Skizzen aus der Geschichte des Altertums (Bd. 1)

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schwer, daß sie es kaum emporziehen konnten. Zu ihrer Verwunderung 
sahen sie, daß ein gewaltiger Baumstamm hineingeraten war. Sie zogen 
ihn mit Mühe ans Land und betrachteten ihn genau, da sie sahen, daß 
er gut behauen war, und vermuteten, es sei ein Schatzbehälter. König 
Nidung, von dem Funde benachrichtigt, kam zum Strande und gebot in 
den Stamm zu hauen. Sobald Wieland die Axthiebe merkte, rief er 
laut, sie möchten doch innehalten, denn ein Mensch sei darin. Die Leute 
dachten nicht anders, als ein böser Geist stecke in dem Stamme, und 
liefen alle davon, so schnell sie konnten, außer dem Könige. Wieland 
öffnete den Stamm, trat vor Nidung und sprach: „Ein leibhaftiger 
Mensch bin ich, Herr, nicht ein Gespenst; gieb mir Frieden für Leib 
und Leben und für meine Habe.“ Nidung betrachtete erstaunt den 
schönen Fremdling und gewährte ihm seine Bitte. Wieland verbarg 
darauf den Stamm mit allen seinen Werkzeugen und seinen Kleinoden 
unter der Erde. Nur ein Ritter des Königs, Namens Regin, belauschte 
ihn hierbei; aber Wieland bemerkte ihn zuletzt. 
Wieland blieb als Knappe an Nidungs Hofe. Einst spülte er die 
Messer des Königs in der See, da fiel ihm das beste von allen in die 
Tiefe. Da er keine Hoffnung hatte, es wieder zu erlangen, so ging er 
zur Schmiede des Amilias, der des Königs Schmied war. Amilias saß 
gerade mit seinen Gesellen zu Tische; derweil schmiedete Wieland ein 
Messer, dem verlorenen ganz gleich, und entfernte sich ungesehen. Das 
Messer legte er dem Könige hin. Dieser schnitt damit ein Brot durch; 
aber das Messer fuhr nicht nur durch das Brot, sondern durchschnitt 
auch den Tisch, soweit es reichte. Erstaunt über solche Schärfse fragte 
der König, wer das Messer gefertigt hätte. Wieland erwiderte: „Amilias, 
der alles für Euch schmiedet, wird es gemacht haben.“ Der König aber 
glaubte ihm das nicht, und er drohte ihm mit seinem Zorne, wenn er 
nicht die Wahrheit sagte. Jetzt gestand Wieland den ganzen Sachverhalt. 
„Das ahnte mir, sprach der König, daß Amilias ein solches Messer nicht 
gemacht hätte; denn nie sah ich so treffliche Schmiedearbeit als diese.“ 
Eifersüchtig auf Wieland wegen dieses Lobes forderte Amilias ihn 
zum Wettkampfe in der Schmiedekunst heraus; er erbot sich, innerhalb 
eines Jahres Helm und Brünne von undurchdringlicher Festigkeit zu 
schmieden; Wieland solle ein Schwert schmieden, so gut er es verstehe. 
„Gelingt es dir, sagte Amilias, mit deinem Schwerte meinen Helm oder 
meine Brünne zu durchschneiden und mich zu verwunden, so sollst du 
mir das Haupt abhauen. Zerschneidet dein Schwert meine Rüstung 
nicht, so sei fest überzeugt, daß ich alsbald dein Haupt dir abschlage.“ 
Damit war Wieland einverstanden. 
Alsbald machte sich Amilias ans Werk und arbeitete das ganze 
Jahr hindurch eifrig an der Rüstung. Wieland dagegen verrichtete nach 
wie vor seinen Dienst beim Könige, bis ihn dieser nach sechs Monden
	        
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