Bewegungen in Mitteleuropa nach der Julirevolution 1830.
Nr. 13.
Belgiens Unabhängigkeitskrieg 1830/32.
A. Belgien, schon lange gewohnt, gröfseren Staats¬
verbänden anzugehören, überläfst dem an Be¬
völkerung kleineren Holland um so unlieber
die herrschende Stellung, als es sich in Sprache,
Geschichte, Konfession und Handelsinteressen
(Antwerpen zurückgehalten gegen Rotterdam
und Amsterdam) den Niederländern fremd
fühlt. — Den letzten Anstofs zum Abfall gibt
die Pariser Juli revolution.
B. Die Aufführung der „Stummen von Portici“
25/8 80 in Brüssel führt zu Unruhen und dar¬
nach zur Bildung einer Nationalgarde. Die
nach Brüssel vorgehenden niederländischen
Truppen werden nach Antwerpen zurückge¬
drängt. — Hier kapituliert Chass^ aber erst
dann (1832), als ein französisches Heer unter
Gerard ihn dazu zwingt. Ebenso wirkt eine
englische Flottendemonstration bei Texel zu
Gunsten der Belgier. — Leopold von Coburg
erster König. Anerkannt von Holland erst 1889.
C. Belgien blüht seitdem in Industrie und Ge¬
werbe, in Acker- und Gartenbau, in Kunst und
in Wissenschaft in ungewöhnlichstem Mafse
auf. 1830 : 3 800 000 E., 1895 : 6 200 000 E. —
Schwierigkeiten im Innern bereiten die unver¬
mittelten Gegensätze von Klerikalen und Libe¬
ralen (später auch von Kommunisten). Nach
aufsen ist seine selbständige Stellung Frank¬
reich gegenüber keine leichte.
Einzelnes aus der deutschen Bewegung.
Die freiheitlichen Bestrebungen in Deutschland konnten einen grofsen
Erfolg nur dann erringen, wenn sie umfassend waren und an einen
militärisch starken Staat sich anlehnten. (Vergl. die italienischen Revo¬
lutionen und Sardinien. Auch Belgiens Befreiung war nur durch die
französisch-englische Hülfe geglückt.) Die ersten deutschen Revolutionen
aber haben vorwiegend einen räumlich beschränkten Charakter und sind
im übrigen fast planlos.
1830 Der launenhafte „Diamantenherzog“ Karl aus Braunschweig ver¬
jagt (7/9).
1831 Der von der Reichenbach beherrschte Kurfürst von Hessen Wil¬
helm II. zu einer freisinnigen Verfassung gezwungen. — Der der
Katholisierung beschuldigte König Anton Von Sachsen (Jubelfest der
Augsburger Konfession) mufs den Kronprinzen Friedrich August zum
Mitregenton annehmen und gegen das Cliquenwesen in der Verwal¬
tung eine Verfassung gewähren.
1832 In Hambach (Pfalz) versammeln sich 25 000 Menschen, auch Polen
und Franzosen, um — Deutschland einig und frei zu machen (27/5).
1833 Frankfurter Putsch von 50 Studenten auf die Haupt- und Constabler-
wache. Demagogenjagd (Fritz Reuter.)
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Danzig
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1837 Ernst August, König des von England getrennten Königreichs
Hannover, hebt das Staatsgrundgesetz von 1833 auf, um die Finanz¬
verwaltung und die Thronfolge nach seinem Belieben zu regeln. —
Die Göttinger Sieben.
1840 Der preufsische Thronwechsel weckt die kühnsten Hoffnungen auf
den geistreichen, beredten und liebenswürdigen Fürsten. — Amnestie
der gefangenen Bischöfe. Patriotische Regungen gegen Frankreichs
Herausforderungen. („Wacht am Rhein.“ „Sie sollen ihn nicht haben.“)
1842 Der romantisch gesinnte, von der Herrlichkeit des Mittelalters erfüllte
König von Preufsen, der auch den Stolzenfels und die Marienburg
wieder auf bauen läfst, veranlafst den Weiterbau des Kölner Domes.
(Erzherzog Johann von Österreich.)
1844 Die Ausstellung des Trierer Rockes bewirkt die Trennung der Deutsch-
Katholiken (Joh. Ronge). Die Bewegung verläuft erfolglos, da sie
nur verneinend bleibt.
1846 Ähnliche Bewegung auf dem protestantischen Gebiete seitens der
Lichtfreunde.
1848/50 Wie Unklar und unpraktisch die umgestaltenden Bestrebungen
noch vielfach sind, zeigen diese Revolutionsjahre.
Seitdem wird das patriotische Zier vom Yolke und von Preußen
zweekmäfsiger verfolgt.
Tarnopoi
o
1850 (6/2) Die preufsische Verfassung gewährt dem Volke eine Mitwirkung
an der Regierung auf vermögensrechtlicher Grundlage.
1852 Reaktion. — Verlust der Märzerrungenschaften. — Deutsche Flotte
verkauft. — Dafür entsteht eine preufsische Flotte.
1854 Die Neutralität während des Krimkrieges bringt Preufsen Demütigungen
und ist unbeliebt, erweist sich aber später als sehr zweckmäfsig.
1858 Neue (liberale) Ära.
1859 Dasselbe wie im Krimkriege gilt von der Neutralität im österreichisch¬
französischen Kriege. — Nationalverein.
1861 König Wilhelm I. Die Heeresreform wird durch die Fahnenweihe
als eine dauernde gekennzeichnet.
1862 Bismarck zwingt den hessischen Kurfürsten zur Wiederherstellung
der Verfassung von 1831. — Die deutsche Frage kommt in Flufs.
1863 Preufsens unbeliebte und doch so praktische Politik gegenüber den
Polen. — Der Fürstenkongrefs in Frankfurt beweist die Erfolglosigkeit
der Einheitsbestrebungen, die Preufsens Bedeutung nicht berück¬
sichtigen. — Friedrich VII. von Dänemark f. Die Schleswig-Hol¬
steinische Frage.
1864 Dem schleswigschen Kriege folgen die Ereignisse, die Deutschland
einig und frei machen.
Polens letzte Selbständigkeit zerstört 1830/31
A. Die'mit lebhaftem Nationalgefühl ausgestatteten
Polen sehen mit wachsender Erbitterung, wie der
Grofsfürst Konstantin die Vorrechte des „König¬
reichs“ einschränkt und mifsachtet. (Verfassung,
Nationalarmee.) Die letzte Anregung zur Em¬
pörung gibt die französische Julirevolution. —
Törichterweise rechnen die Polen wieder, wie so
oft, auf die Hülfe von Frankreich und England;
B. Ausbruch der Verschwörung in Warschau 28/11 30.
Der Mordversuch gegen den Grofsfürsten Kon¬
stantin mifsglückt. Als das Haus Romanow des
Thrones verlustig erklärt wird (25/1 31), rückt
Diebitsch mit 130 000 M.-äuf Warschau vor und
drängt die tapferen,..aber uneinigen Polen (Fürst
Czartoriski führt politisch den Adel, der Ge¬
schichtsforscher Lelewel die Volkspartei) nach
einer Reihe von blutigen Schlachten (Grochow)
bis ,an und bis über die Weichsel.
Diebitsch versucht nun zuerst, aber ver¬
gebens, im Süden der Hauptstadt die Weichsel
zu überschreiten, macht dann nordwärts einen
Seitenmarsch an den inzwischen gegen die
russischen Garden auf Östrolenka vorgegangenen
Polen vorbei und will erdlich, nachdem er hier
gesiegt, den Weichselübergang an der preufsi-
schen Grenze, den Rücken durch Thorn gedeckt,
bewerkstelligen. Als er auf dem Marsche dahin
der (damals zuerst in Europa auftretenden) Cholera
erlegen, besorgt sein Nachfolger Paskiewitsch
den geplanten Übergang und marschiert dann
auf das schlecht befestigte Warschau zu, welches
am 8. September kapituliert.
Die Parteigängerkämpfe der Polen in Litauen
und Wolynien sind wohl glänzend, aber belanglos.
Viel geringer, als die militärischen, sind die
politischen Leistungen der Polen. Der erste
Diktator Chlopicki setzt seine Hoffnung auf Unter¬
handlungen mit dem russischen Kaiser, obschon
es den Russen allein darauf ankam, Zeit zu ge¬
winnen. Sein Nachfolger Adam Czartoriski, der
für den unbedeutenden Fürsten Radniwill tat¬
sächlich regiert, unterstützt nicht genug die
volkstümlichen Bewegungen. Von der Volks¬
partei deshalb durch einen Tumult gestürzt, wird
er ersetzt durch den unfähigen Krukowiecki,
der zu früh verzagt und Warschau den Russen
zurückgibt.
C. Den Polen werden durch das „organische Statut“
alle Freiheiten und Vorrechte genommen. (Ver¬
fassung, Reichstag, Armee.) Polizei- und Militär¬
regiment. Güterkonfiskationen und Verbannung
nach Sibirien. Viele Polen flüchten in die Schweiz
und nach Paris, in welcher Stadt man lange
Zeit selbstlose Sympathien für die Unterdrück¬
ten heuchelt. Aufrichtiger und unpraktischer
schwärmen die Deutschen für das „noch nicht
verlorene Polen“'.