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1. iHe Deutschen um die Zeit von Christi Geburt.
Familie für sich auf dem einsamen Gehöft, umgeben von ihren Wiesen, Äckern
und Wäldern. Wo sie aber, wie es weiter im Süden mannigfach vorkam, in
Dörfern wohnten, da besaß jeder Grundbesitzer als freies Eigentum nur Haus,
Hof, den umzäunten Garten und seine Herde, dagegen waren Wald, Weide
und Ackerflur Eigentum der ganzen Dorfgemeinde, und der einzelne hatte nur
das Recht in Gemeinschaft mit seinen Flurgenossen sie zu benutzen. Aber dies
Recht ward auch mit der größten Eifersucht gegen die Übergriffe anderer ver¬
teidigt; keiner sollte sich über die andern erheben, und selbst der gewählte
Häuptling war nur insofern hinsichtlich des Lebensunterhaltes bevorzugt, als
ihm freiwillig Geschenke dargebracht wurden. Auf dieselbe Gleichheit der Rechte
hielten die deutschen Bauern in der Volksversammlung, vor Gericht und im
Heer. Nur die Gesamtheit der Gleichberechtigten gab Gesetze und fällte richter¬
liche Urteile. Könige duldeten sie in der Regel nicht über sich, aber im Fall
eines Krieges wählten die Stammgenossen einen Heerführer oder Herzog; nur
dann, wenn der Hochmut und Unabhängigkeitssinn der Häuptlinge viele innere
Fehden erregt und dadurch einen Stamm geschwächt hatte, setzten sie ein mäch¬
tiges und erlauchtes Geschlecht zu fester und dauernder Herrschaft ein, um den
Übermut der Großen im Zaum zu halten.
Von alters her sahen die Deutschen im Ackerbau eine ehrenvolle Beschäf¬
tigung, dabei waren sie mit den einfachsten Handwerken nicht unbekannt, aber
jeder Bauer verfertigte selbst seine Pflugschar und zimmerte selbst das Gebälk
seines Hauses, und die Hausfrau spann und wob das einfache wollene Wams
ihres Mannes, dem das Fell des von ihm erlegten Bären ein stattlicherer
Schmuck war. Erst später, als man auf den häufigen Kriegszügen Gefangene machte
und sich so die Zahl der Unfreien oder Knechte mehrte, denen man die Arbeit
zu überlassen anfing, sank dieselbe mehr und mehr in der Achtung, und die Freien
ruhten gern auf der Bärenhaut, wenn sie von Jagd- und Kriegszügen feierten.
Denn ihre liebste Beschäftigung war von jeher diejenige, welche die
meisten Gefahren bot und die stärkste Manneskraft erforderte. Mit Begeisterung
stürzten sie sich daher selbst in den Kampf, und mit Begeisterung sangen sie
von den Heldentaten ihrer Vorfahren. Die Schrecken des Todes zu verachten
und das Ungeheuere zu wagen, darin bestand die Ehre des Kriegers. Und
hierbei trat besonders glänzend ein Zug hervor, der dem stolzen Unabhängig-
keitsgesühl der Deutschen zu widersprechen scheint, die gemütvolle Hingebung näm¬
lich an einzelne Personen, denen sie Gis zum Tode die Treue wahrten. Wenn
sie sich freiwillig durch Schwur und Gelöbnis einem Heerführer zu irgend einem
Unternehmen verpflichtet hatten, so war dies ein Band, das für heiliger galt,
als die Pflicht gegen das gemeine Beste des Volkes. So bildeten sich mächtige
Häuptlinge ein Gefolge, auf das sie sich unbedingt perlassen konnten, wie sie
denn ihrerseits verbunden waren, ihre Mannen in jeder Weise zu schützen.
Selbst Fürstensöhne traten oft in das Gefolge eines bewährten Häuptlings, um
bei ihm ihre Lehrzeit durchzumachen. Im Frieden bildeten diese Mannen die
Hausgenossenschast ihres Herrn. Da sammelten sie sich in der großen Halle
desselben um den Herd und saßen beim Mahle in langen Reihen auf erhöhten
Sitzen, in der Mitte auf dem Herrensitze der Wirt und seine Hausfrau. Die
Töchter desselben schenkten Bier und Met in Krüge aus Eichenholz, die vor