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Nordpolarländer.
nur an das denken, was sie in aller Ruhe auf einem Binnensee oder
Fluß kennen gelernt haben, können sich unmöglich eine Vorstellung
von dem machen, was ein Seefahrer in den arktischen Regionen fühlt
und erlebt. Man stelle sich aber das Eis wie Stein vor, wie einen
treibenden Fels im Strome, wie ein Vorgebirge oder eine Insel auf
dem Grunde stehend, nicht iveniger fest, als wäre es ein Boden von
Granit; man denke sich ferner, wenn man es vermag, diese Berge
von Krystall von einer reißenden Fluth durch eine enge Straße getrie¬
ben, wie sie, so wie in Bewegung gesetzte Berge sich treffen würden,
mit dem Krachen des Donners aufeinander stoßen, wie sie ungeheure
Bruchstücke von einander losbrechen oder einander zerschmettern, bis sie,
das frühere Gleichgewicht verlierend, Kopf über stürzen und die See
dadurch rund umher zu tobender Brandung in die Höhe schleudern
oder in Strudeln herum wirbeln; wahrend die flachern Eisfelder von
der Gewalt des Windes oder der Strömungen gegen diese Massen
oder die Felsen geschleudert, aus der See sich emporthürmen, bis sie
in sich selbst zusammenstürzen; dazu denke man sich die unbeschreibliche
Bewegung, das ungeheure Krachen, welches mit diesen Erscheinungen
innig verknüpft ist. Keine Kleinigkeit ist es, noch dazu in Fallen
dieser Art, seine ganze Hülflosigkeit zu kennen und zu fühlen. In
keinem Augenblicke kann man muthmaßen, was in dem nächsten sich
ereignen wird; es giebt nicht einen, welcher nicht der letzte seyn könnte;
und doch kann auch der nächste Moment Erlösung und Sicherheit
bringen. Es ist eine eben so seltsame, als ängstliche Lage, und ob¬
wohl an sich furchtbar, laßt sie oft nicht Zeit zur Furcht, so unerwar¬
tet ist jedes Ereigniß und so schnell der Übergang.'^ — Von den Ge¬
fahren, von Seiten des Eises, die den Seefahrer in den Polarmeeren
bedrohen, sehe der Leser auch den I. Bd. des Hülssbuchs S. 39 rc. nach.
Von den Nordpolarlandern kennt man bloß die Küsten und
auch diese nicht einmal von allen vollständig, noch weniger hat man
das Innere derselben untersuchen können, da solche Wanderungen im
Innern mit großen Mühseligkeiten und Entbehrungen verbunden sind,
wie wir dies aus Parrys Beschreibung seiner Wanderung durch die
Insel Melville, eine der von ihm entdeckten Nordgeorgs-Jnseln,
an deren Südküste er in dem sogenannten Winterhafen den Winter
1819—1820 zubrachte, ersehen. Wir theilen einige Nachricht von
der durch Parry von dem Südende bis zum Nordende durch das In¬
nere dieser Insel gemachten Fußwanderung mit, indem der Leser hier¬
durch eine anschauliche Vorstellung von der Beschaffenheit dieses Nord¬
polarlandes, so wie der Nordpolarlander überhaupt sich machen kann.
Es war am 1. Junius 1820, daß Parry mit 11 Begleitern die bei¬
den im Winterhafen vor Anker liegenden Schiffe verließ. Sie hatten
auf 3 Wochen Lebensmittel, 2 aus wollenen Decken bestehende Zelte,
einen Apparat zum geschwinden Kochen und etwas Brennholz bei sich,
was zusammen 800 Pf. wog, das aus einem leichten Karren gefah¬