Full text: Annalen des Deutschen Reichs im Zeitalter Heinrichs V. und Lothars v. Sachsen (Abt. 3, Bd. 2, Hälfte 2)

Die deutsche Reichsverfassung unter den sächsischen und salischen Herrschern. 
Auch als die kühnere Politik Ottos des Grofsen die Herzöge wieder zu Be¬ 
amten des Reiches zu machen suchte, blieben die Stämme als die elementaren 
Bestandteile der Nation bestehen. Und doch war die staatliche Einheit im neuen 
Reiche besser gesichert als im alten, das doch immer nur ein grofses Hausgut 
der Karolinger geblieben und häufig nach privatrechtlichen Grundsätzen verteilt 
worden war. Seit der Erneuerung des Reiches durch Heinrich I. findet sich 
nirgend ein Versuch zur Teilung des Königtums. Auch die von den Feinden 
des herrschenden Hauses aufgestellten Gegenkönige haben stets die Herrschaft 
über das ganze Reich beansprucht. Dieses Reich vertritt nun eine nationale 
Einheit, seine Grenzen fallen im allgemeinen zusammen mit dem Ausdehnungs¬ 
gebiet der Sprache, die man seit dem Anfang des 9. Jahrhunderts die deutsche 
nennt. Das Land und das Reich erhalten diese Bezeichnung seit dem 10. und 
allgemein erst im 11. Jahrhundert.1 
Aber das Bewulstsein ihres Herrscherberufs war den Deutschen aus der 
Karolingerzeit her verblieben, und so sehen wir nach vier Seiten hin Bestand¬ 
teile fremder Völker dem deutschen Reiche angegliedert, nicht als gleichstehende 
Piovinzen, sondern teils als Vasallenländer, teils durch Personalunion mit dem 
Reiche verbunden. Im Norden erkannte Dänemark, im Osten ein Gürtel sla¬ 
wischer Länder von der Ostsee bis zu den Karpaten, im Südosten Ungarn die 
Lehnshoheit des Reiches an.2 Im Süden trug der deutsche König die Krone 
der Langobarden, im Südwesten herrschte er als König von Burgund.3 
2. Erneuerung des Kaisertums. 
Auch der Gedanke des Kaisertums, das den Erben der Karolinger gebühre, 
war m Deutschland me erloschen, nur im Drange der Umstände zurückgestellt 
worden.4 Schritt für Schritt näherte sich das sächsische Königshaus dem Ideale 
des Weltreiches. Als Schutzherr der Christenheit, als mächtigster Herrscher des 
Abendlandes, war der deutsche König von allen Völkern geehrt, sodafs die Ver¬ 
einigung der Kaiserkrone mit der deutschen und langobardischen Krone nur selbst¬ 
verständlich erscheint.5 Die Kaiserwürde war freilich seit den Karolingern bedenk¬ 
lich im Werte gesunken. Neben und nach Kaiser Arnulf trugen Lampert von 
Spoleto 892 — 898, Ludwig von Burgund 901—905 (f 924) und Berengar von 
Fnaul 91o die kaiserliche Krone, ohne auch nur in Italien eine herrschende 
Stellung behaupten zu können.6 Dem sittenlosen Priester in Rom war die 
bewurstsm V* S‘ 8‘ 133’ SchrÖd6r’ “•* S- 378. Vgl. auch D. Schäfer, Deutsch. National- 
2) Waitz a. a. 0. S. 102 f., Annal. III, 1, S. 15. 20. 359. 
3) Annal. III, 1, S. 62 ff., 305. 
M. va’y“ "g“wdfelt0 Sle11» Sb” Heinrich I. lei WiduMM 1, 40. Dazu mit*, 
o) Vgl. Waitz, VG, V2, S. 97 f. 6) Dumial er, Ostfrüak. Reich H, S. 371. 432. 533 f. 600.
	        
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