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wußt, sondern die Vorstellung davon steht oft auch so lebhaft und frisch
vor unserer Seele, als ob wir es eben jetzt sähen, hörten und fühlten.
Hierin zeigt sich die Thätigkeit der Einbildungskraft. Doch auch
hierbei bleibt unsere Seele nicht stehen. Nicht allein abwesende Gegen¬
stände und Vorfälle aus vergangener Zeit vermag sie sich vorzustellen, son¬
dern sie setzt auch aus bereits vorhandenen Vorstellungen neue zusammen.
Du hast noch kein Zebra gesehen. Wohl aber wirst du dir von demselben
eine Vorstellung machen können, wenn ich dir sage, das Zebra sei ziemlich
so gebaut, wie das Pferd, das du bereits aus eigner Anschauung kennst;
hinsichtlich der Größe stehe es zwischen dem Pferde und dem Esel und habe
einen Eselsschwanz; vom Rücken nach dem Bauche zu sei es mit regelmäßi¬
gen schwarzen Streifen bezeichnet. Wärest du nach dieser Beschreibung im
Stande, das Bild dieses Thieres in einem Buche zu erkennen? Oder wo¬
durch kannst du ein dir aufgetragenes Geschäft leicht, geschickt und genau
ausrichten, als dadurch, daß du dir mit der nöthigen Lebendigkeit und An¬
schaulichkeit vorstellst, welche einzelnen Arbeiten, welche Stoffe und welche
Werkzeuge dazu gehören? — Nimm dir aber hierbei das zur Regel, die
Dinge, welche du in der Wirklichkeit siehst und hörst, richtig und treu 8uf-
zufassen; denn du könntest sonst leicht zu verkehrten Ansichten, zu falschen
Einbildungen verleitet werden. Die Gespenster- und Hexenfurcht, durch
welche sich noch immer viele Menschen lächerlich und nicht selten unglücklich
machen, hat eben darin ihren Grund, daß dieselben die wirkliche Beschaffen¬
heit der Dinge und die Erscheinungen der Natur nicht mit der gehörigen
Sorgfalt und Unbefangenheit betrachtet und daher unrichtige Vorstellungen
von denselben in sich aufgenommen haben. Selbst manche Unwahrheiten,
welche kleinere Kinder sagen, entstehen häufig dadurch, daß dieselben auf
das Geschehene nicht gehörig geachtet haben und nun meinen, daß es ganz
anders geschehen sei, als cs wirklich der Fall gewe>en ist. —
Körperliche Werkzeuge für Einbildung und Gedächtniß gibt es nicht.
Vielmehr ist erstere sogar im Schlafe, besonders im Traume thätig, wo
doch die Werkzeuge der äußeren Sinne geschlossen sind und ruhen.
Übrigens sind Bewußtsein, Gedächtniß und Einbildung auch den
Thieren eigen. Auch diese unterscheiden sich von andern Thieren; dies
siehst du daran, daß vorzüglich manche unserer Hausthiere auf den ihnen
gegebenen Namen hören. Auch sie erinnern sich früherer Vorfälle; der
Hund z. B. flieht vor dem Stocke, weil er in demselben das Werkzeug zum
Schlagen wieder erkennt. Auch er hat dann noch Vorstellungen, wenn
seine Sinneswerkzeuge geschlossen sind. Oder hast du noch keinen Hund
im Traume knurren und bellen hören?
Merke dir noch Eines ! Was dir jetzt vom Bewußtsein, vom Gedächt¬
nisse und von der Einbildung gesagt worden ist, das gilt nicht blos von
den sinnlichen Vorstellungen unserer Seele, sondern von allen Thätigkeiten
derselben, also auch von denen, über welche du nunmehr weiter belehrt
werden sollst.
III.
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