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zehnfach widerhallenden Donner mit unerhörter Furchtbarkeit erschallen
taffen, so herrscht hier eine Stille, wie sie sonst nirgends auf
Erden so sehr und tief empfunden wird. Einsiedlerisch in unwirtbarer
Wüste liegt diese geheimnisvolle Gebirgswelt, fernab vom geräusch¬
vollen Verkehr der Völker. Und doch ist dieses Gebirge den Völkern
dreier Glaubensbekenntnisse heilig. Es haften an ihm fromme Er¬
innerungen für die Hälfte der Menschheit. Aus ausgetretenen Stufen,
die schon vor 13 Jahrhunderten der Fuß des Pilgrims betrat, steigt
jetzt noch Christ und Muhamedaner zu den Bethäusern auf seinem
Gipfel empor. Aber der Jsraelite, der dem Verbote Mosis auf beit
Berg zu steigen oder seine Erde anzurühren eine ewige Geltung bei¬
mißt, schaut nur aus der Ferne ehrfurchtsvoll zu ihm hinüber.
205. Die Latzbergwerke von Wieliczka.
Nach der „Illustrierten Welt".
1. Das freie Bergstädtchen Wieliczka mit seinen Türmen, mit seinem
alten Schlosse, mit seinen unregelmäßigen Gassen, mit denen es sich in
einem Thalkessel der vorderen Karpathen eingenistet hat, und mit seiner
deutschen Kolonie oder, wie die Leute dort sagen, mit seinem „Schwaben-
dörfle", das mit netten, freundlichen Häusern sich der alten Polenstadt zur
Seite gelegt hat, macht einen interessanten Eindruck. Die Sarmaten des
Herodot, die Lygier, Geten, Daten, Goten und andere Völker wanderten
über diese vorkarpathischen Landschaften jahrhundertelang hin und her,
ohne in ihrem barbarischen Sinne zu ahnen, welche Schätze sie mit Füßen
traten. Sie holten, wer weiß von welchem entfernten Strande, in spär¬
lichen Portionen, was sie kaum 30 m unter sich in so reichlichen Mengen
hätten haben können. Erst vor sechshundert Jahren, im Jahre 1251,
entdeckte man die Salzstöcke von Bochnia und Wieliczka und fing an, sie
zum Wohle der Menschheit auszubeuten. Es soll Kunigunde, die Ge¬
mahlin des Herzogs Boleslaw V, gewesen sein, welche diese Entdeckung
machte. Die Art der Gewinnung mochte anfangs sehr einfach sein, solange
man noch an dem obersten Kopfe des hier hinausragenden Salzhügels
arbeitete. Später holte man Bergleute aus Ungarn und Deutschland und
betrieb die Sache kunstgerechter. Die Nachrichten von der regelmäßigen
Betreibung des Bergbaus steigen nicht über das Jahr 1442 hinauf. Doch
waren selbst in den Zeiten nach diesem Jahre, während der ganzen Polen¬
herrschaft, alle Arbeiten und Anstalten noch sehr unvollkommen. Die Berg¬
werke waren an Leute verpachtet, die meistens, wie der Kunstausdruck lautet,
„aus Raub" arbeiteten. Sie suchten so viel Salz als möglich ans Tages¬
licht zu schaffen, unbekümmert darum, ob ihren Nachfolgern aus dem un-