§. 31. Die verschiedenen Culturzustände der Menschheit. 10L
Besonnenheit, Ausdauer wie das des Seefischers voraus, aber cs ver¬
langt daneben schwerere körperliche Arbeit. Daher folgen bei ihnen auf
Tage der härtesten Arbeit Tage der vollständigsten Unthätigfeit. Aber
rasch zwingt sie die Noth zu neuer augestreugter Thätigkeit. So bewegt
sich ihr Leben in schroffen Gegensätzen, und dadurch werden die Leiden¬
schaften geweckt; mit Recht werden daher vorzugsweise die Indianer-
Nordamerikas Wilde genannt. Sie bedürfen weiter Räume, um existieren
zu können, und führen um ihre Jagdgründe unter einander blutige
Kriege, die wie Jagden ausgeführt werden. So kaun ihre Zahl nur
gering fein und muß in Berührung mit cimlifierten Nationen rasch
zusammenschmelzen.
Alle diese Völker haben kein bleibendes Eigenthum; was sie
erwerben, dient nur dazu, das augenblickliche Bedürfnis zu befriedigen.
Ihnen gegenüber stehen die Völker mit productivem Eigenthum, d. H.
diejenigen Völker, welche sich Güter erwerben, nicht um sie rasch aufzu¬
brauchen, sondern um deren Früchte zn genießen. Solche Güter können
sehr verschieden fein, z. B. Heerden, Ländereien, Bergwerke und der gl. mehr.
Dadurch tritt nun der Gegensatz von reich und arm auf, und da der
Reiche fein Vermögen und feinen Einfluß über den Armen erblich zu
machen wünscht, so sucht man nach Einrichtungen, welche im Stande
sind, dies zu leisten. Es treten in Folge derselben Standesunterfchiede
hervor, es bildet sich namentlich aus dem Stande der Besitzenden der
Adel aus, dessen natürliches Bestreben es ist, das ursprünglich durch
größeren Güterbesitz erworbene Ansehen sich auch für den Fall zu
bewahren, daß jene Guter verloren gehen. Eine andere wichtige Folge
des Besitzes von Eigenthum ist die, daß Gesetze zum Schutze desselben
gegeben, und Obrigkeiten zur Handhabung derselben ernannt werden,
womit die Grundlage der Staatenbildung gegeben ist.
Wir theilen diese zweite Völkerabtheilung in zwei Classen, deren
erste die wandernden Völker (Nomaden) umsaßt. Ihr bewegliches
Eigenthum besteht in Heerden, und wir finden dergleichen Völker
ursprünglich in Mittel- und Nordasien, sowie in Afrika. Ihr Leben ist,
wenn ihre Naturumgebung nicht gar zu karg ist, im Allgemeinen ein
friedliches und behagliches, voller Geselligkeit und Gastfreundschaft. Das
Volk ist gewöhnlich in eine Reihe kleiner Stämme getheilt, welche,
obwohl an Sitten und Anschauungen durchaus gleichartig, doch kein
rechtes^ Gefühl der Zusammengehörigkeit haben, vielmehr oft in steten
Kämpfen um den Besitz von Weideplätzen oder Quellen (so die Beduinen)
leben. Gelingt es dann einem glücklichen Anführer, erst einige Stämme
unter feiner Herrschaft zu vereinen, so schwillt bald feine Macht lawinen¬
artig an, und dann ergießen sich bald feine Schaaren wie eine Ueber-
Ichwemmung über die Nachbarländer. Aber bald pflegt auch das auf
solche Weife gegründete Reich zu zerfallen. Beispiele liefert die Geschichte
Jrabiens seit Mu Ham ei), die Geschichte der Mongolen. Bei den Gauchos
in Südamerika tritt ähnliches ein. Auch Hier sind die rasch wechselnden
Dictatoren der La-Plata-Staateu ursprünglich kühne Anführer einer