Full text: Lehrbuch der Geographie für die mittleren und oberen Klassen höherer Bildungsanstalten sowie zum Selbststudium

236 §. 76. Lage, Grenzen und Größe des Erdtheils. 
nordöstlichen Seeweg nach China suchte (f. S. 178), wurde wenigstens der Wiederentdecker bc§- 
Norbeaps unb der Gestade bes Weißen Meeres, wohin von nun an die Englänber nneru 
bebeutenben Hanbel trieben. Von bem aufblüEienben Archangel aus würbe zuletzt burch rufst» 
fche Missionäre bas Lanb ber ©ainojeben in ber äußersten Norbosteike Europas ertunbit. 
©o war gegen bas Jahr 1600 gant Europa äußerlich wenigstens bekannt geworden, 
aber es fehlte überall an recht genauerer Erkenntnis. Erst Büsch in g, seit 1754, bearbeitete 
die politische Geographie Europas in kritischem Sinne. Aber die Erkenntnis der natürlichen 
Verhältnisse bes Erbtheils blieb noch lange zurück. Scheuchzer unb später Saussure 
in der Schweiz, und bann A lexan b er von Hurnbolbt haben uns hier bie rechten Wege 
der Forschung gezeigt. Durch Karl Ritter icurbm bie getrennten Richtungen unter einen 
Gesichtspunkt gebracht, unb ber Zusammenhang zwischen Natur unb Geschichte, Erbe unb Mensch 
als die Ausgabe ber Geographie hinbestellt. Ritters großes Werk umfaßt freilich nur Afrika 
unb Asien, aber seine Methode ist von seinen zahlreichen Schülern auch auf bie Geographie 
Europas unb feiner einzelnen Länber angewandt 
.76. Lage, Grenzen und Größe des Erdtheils. Schon 
oben haben wir die Grenzen Europas im Osten bestimmt. Ueber die 
Grenzen zwischen Asien und Europa im Archipelagus werden wir uns 
im Folgenden aussprechen. Es bleibt uns also nur noch der Westen 
und Norden zu betrachten übrig. Im Atlantischen Ocean liegen die 
Azoren etwa gleichweit von Europa wie von Afrika entfernt, bilden 
aber politisch eine Provinz, nicht eine Eolonie von Portugal, mögen 
also besser zu Europa gerechnet werden. Die Insel Island gehört 
durch ihre Producte und ihr mildes Klima im Gegensatz zu der ewig 
beeisten Ostküste Grönlands eher zu Europa, mit welchem sie auch ge¬ 
schichtlich verbunden ist. Spitzbergen mag aus demselben Grunde- 
zu Europa gerechnet werden, besonders aber auch noch deshalb, weil 
es durch ein untermeerisches Plateau mit der Skandinavischen Halb¬ 
insel zusammenhängt. Nowaja Sem bla pflegt man ebenfalls zu 
Europa zu ziehen, obwohl sein hartes Klima es mehr dem asiatischen 
Norden zuweist. Somit bat Europa einen Flächeninhalt von 178150 CM. 
mit etwa 285 Mill. Einwohnern. 
Der nördlichste Punkt des eigentlichen Europa, die ferneren Inseln 
ausgenommen, ist das Nordcap auf der Insel Mageroe in Nor¬ 
wegen, 71° 11' n. Br., der südlichste das Cap Tarifa in Spanien, 
36° n. Br., der westlichste das Cap La Roca, 8° 9' ö. L.; im Osten 
liegt der Ural in 70° ö. L. Bei einer rein geometrischen Betrachtung 
würde man Europa als eine Halbinsel Asiens anzusehen haben, allein 
seine ganze Natur unterscheidet es, wie aus dem Folgenden klar werden 
wird, so sehr von Asien, daß es als ein gesonderter Erdtheil angesehen 
werden muß. Europa ist vor allen Erdtheilen ausgezeichnet durch seine 
Lage in der Mitte der continentalen Halbkugel der Erde (s. S. 22). 
Dadurch ist es in die Mitte der bewohnten Welt gesetzt und bildet 
gewissermaßen das Herz unserer Erde, zu welchem von den Umfängen 
aus Alles, was der Entwickelung der Menschheit förderlich ist, zusammen¬ 
strömt, um von hier aus gereinigt, veredelt, lebenweckend zur Peripherie 
zurückzukehren. Es ist dabei besonders zu beachten, daß dieses Centrum 
nicht blos den mathematischen Mittelpunkt räumlicher Größen bildet, 
sondern daß es von der Vorsehung mit besonderen Eigenthümlichkeiten 
begabt ist, welche die Erfüllung jenes Berufes der Vermittelung auch 
wirklich möglich machen. Auf drei Punkte ist hier hinzuweisen. Erstens
	        
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