Full text: Für die mittleren und oberen Klassen (Teil 2)

Frieden mit Siegfried, und dieser selbst erklärte sich bereit, mit ihnen 
die Räuber zur See zu verfolgen. 
Noch ehe die Sonne im Mittag stand, hatten Siegfrieds Schiffe 
die Friesen wie die Helden von Moorland aufgenommen. Frute kannte 
genau die Wasserstraße, welche die Normannen gefahren sein mußten; 
er ließ alle Segel ansetzen, und in fliegender Eile brausten die Barken 
durch die schäumenden Wogen. Auch nachts vergönnte er keine Ruhe; 
er kannte zu gut die Pfade des Meeres, und er selber stand am 
Steuer der ersten Barke, die sicher wie ein Pfeil durch die Sommer— 
nacht dahinschoß. Da gewahrte er am Rande des Horizonts vereinzelte 
Lichter; Sterne konnten es nicht sein, er spannte alle Kraft des Auges 
an, die hellen Punkte zu prüfen. Plötzlich wandte er sich zu Hettel 
und Herwig und rief: Es sind die normannischen Räuber; sie sind am 
Wülpensande vor Anker gegangen; ihre Lagerfeuer verraten sie. Sie 
haben zu lange der Ruhe gepflogen; nun sollen sie zu harter Arbeit 
erwachen.“ 
Als der Morgen dämmerte, sah ein normannischer Schiffsgesell 
Barken mit vollen Segeln heranfahren. „Wohlauf, sprach da Hartmut, 
da kommen meine grimmen Widersacher.“ Ludwig aber rief laut seine 
Mannen an: „Ein Kinderspiel war, was bisher gethan. Nun erst gilt 
es, mit guten Helden zu streiten. Wer fest zu meiner Fahne steht, den 
mache ich reich für immer.“ 
Die Schiffe legten so nah an, daß man mit dem Speerschaft vom 
Bord an den Strand langte. Lange dauerte es, bis alle Friesen und 
die von Moorland festen Fuß gefaßt hatten; von der Sterbenden Blut 
sah man das Meer in roter Farbe fließen, so weit hinaus, daß es 
niemand mit einem Speer überschießen konnte. Dann aber drangen 
die Helden auf dem Werder vor, um die geraubten Frauen zu erreichen; 
vor allen wüteten Ortwin und Morung auf dem Schlachtfelde, indem sie 
mit dem Schwerte breite Furchen pflügten. Die Speere waren von 
beiden Seiten verschossen, aber noch wurden von den guten Schwertern 
der Helme viel verhauen. Je weiter aber die Normannen zurückgetrieben 
wurden, desto mehr wuchs ihre Kraft; sie wußten nicht, wohin entrinnen, 
darum tobten sie wie Bären, denen der Rückzug versperrt ist. Sie 
schlugen tiefe Wunden, um sich die Königstochter Gudrun zu wahren. 
Über den Mittag hinaus, bis gegen Sonnenuntergang, wogte der Kampf 
hin und her, auf beiden Seiten trat Ermüdung ein, aber an Flucht 
war auf keiner Seite zu denken. Da stießen die beiden Könige Ludwig 
und Hettel aufeinander. Von Zorn erglühend rief Hettel: „Du feiger 
Räuber, gieb mir meine Tochter zurückl! Wenn nicht, dann zeige, 
daß du Helden zu stehen vermagst!“ Höhnend sprach Ludwig dagegen: 
„Du hast einstmals Hagens Tochter durch deine Helden rauben lassen, aber 
bei dem Wagnis bliebst du selber klug daheim; wie hast du jetzt dich auf
	        
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