Full text: Theodor Schachts Lehrbuch der Geographie alter und neuer Zeit

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Mittel-Europa. 
hat er stets ausgebildet, und er trägt die Freiheit persönlicher Ansicht auch auf da5 
kirchliche Gebiet über. Selbst die Bauart seines Hauses hat er vielfach modificirt und 
modernisirt und in manchen Theilen der Marschen gibt es keine Volkstracht mehr. 
Der Binnenbewohner dagegen ist schlicht und einfach geblieben; Volkstracht und Bau- 
art der Gehöfte bleiben unverändert; statt des politischen kultivirt er mehr das religiöse 
Gebiet. „Solche Freiheitskämpfe, wie sie die Stediuger und Wurster im Mittelalter 
ausgefochten, dürfen wir nur vou Marschbewohnern erwarten, dagegen ist auch die 
großartige Eutwickelung der Mission, wie sie von Hermannsburg (im Lüneburgischen) 
ausgegangen, nur in einem Haidedorfe möglich" (Rüge). — 
Beschäftigungen in den Marschen sind vorzüglich Viehzucht, Ackerbau, Fischerei, 
auch Seehandel. Friesisches Rindvieh ist berühmt, ebenso Butter und Käse. Auch die 
schweren Pferde, die man in großer Zahl aufzieht, kommen ins Ausland. Bloß das 
jetzige Ostfriesland verkauft jährlich über 44,000 Faß Butter, über 4 Millionen Pfund 
Käse, 4500 Stück Rindvieh und 3400 Pferde. 
Friesen ist der uralte Name alles deutschen Küsten- und Jnselvolkes vom Aus« 
flusfe des Rheins bis östlich der Wesermündung. Ja um die Mündung der Eider, also 
an der dänischen Grenze, hießen die Strand- und Inselbewohner Nordfriesen. Jetzt 
gehört der Nameu nur noch den Friesländern in Nordholland und den Ostfriesen im 
unteren Emsgebiet. Durch die nahen Moore und Haiden, wie durchs Meer von den 
Menschen geschieden, blieb diesem Volke viel Alterthümliches und Eigenes in Lebensart 
und Sprache. Es ist aufrichtig und grade, bedächtig, dienstfertig und sparsam, und hat 
länger als die meisten übrigen Deutschen an den Rechtsamen und Bräuchen altgermani- 
scher Vorzeit festgehalten. Freies Gehöfte und persönliche Selbständigkeit galt dem 
friesischen Manne mehr als das Leben. Edler freier Friese! war der schönste 
Gruß, womit einer den andern empfing. Wie sie das Joch der Römer nicht geduldet, 
so warfen sie auch das fränkische ab und schlössen zu besserer Abwehr den Bund der 7 
Seelde, der im 11. Jahrh. die einzelnen Gemeinden an der Nordsee vereinte. Ein alter 
Baum unweit Aurich ward zur Stätte des gemeinschaftlichen Upstals d. h. Obergerichts 
uud Landtags bestimmt, und lange Zeir standen die Freiheiten aufrecht wie der Upstals- 
bom, trotz der herrschsüchtigen Angriffe der Nachbarn, denen nur gelang, die Stedinger 
zu vernichten und die Mündung der Weser zu erobern. Was indes äußere Feinde nicht 
vermochten, that Uneinigkeit im Innern. Ehrgeizige Häuptlinge strebten nach der Herr- 
schaft uud bestritten einander so lange, bis im 15. Jahrh. das Haus Cirkseua von 
Greetsihl die Oberhand und 1463 die fürstliche Würde erhielt. So verlor sich die 
Häuptlings-Verfaffung. Dagegen kam Ruhe unters Volk, das an seinem Vaterlande 
trotz der Seestürme nn oes neblig feuchten Klimas mit ganzer Seele hängt. Als 
1744 das Haus Cirkseua ausstarb, fiel Ostfrieslaud an den preußischen Staat, zu dem 
es seit Einverleibung Hannovers jetzt wieder gehört. — Um das altfriesische Recht und 
die Geschichte des Landes hat sich der wackere Wi arda sehr verdient gemacht. 
Orte im Gebiet der untern Weser: Celle mit 17,000 E. an der Aller; 
sein Dichter E. Schulze starb leider zu juug. Auf der Haide von Sievershausen/ 
3 Mln. südl. von Celle, fiel Kurfürst Moritz von Sachsen als BuudeSgenoß Heinrichs 
von Braunschweig in der Schlacht gegen Markgraf Albert von Baireuth 1553 den
	        
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