Full text: Deutsches Lese-, Lehr- und Sprachbuch für Schule und Haus

63 
aber gegen seine Dienstboten und Tagelöhner sehr hart und gegen 
Nothleidende unbarmherzig war, war er trotz seines Reichthums 
nur verhaßt. 
Hans Wohlmann legte es gar nicht absichtlich darauf au, Ehre 
zu erlangen. Sein Wahlspruch war: „Trachtet am ersten nach dem 
Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das an¬ 
dre alles zufallen." Deshalb war er mit Herz und Wandel ein 
echter Christ, las fleißig in Gottes Wort, ging fleißig zur Kirche, 
war gegen jedermann, auch gegen den Armen, freundlich und ge¬ 
fällig, half mit Rath und That, wo er konnte, hielt seine Wirt¬ 
schaft in der schönsten Ordnung, war bei allen Gcmeindearbeiten 
der erste uiib ein treuer Unterthan des Königs. Deshalb staub er 
allgemein in Achtung, ohne darauf auszugehen. 
108. Du sollst nicht begehren alles, was dein Nächster hat. 
Ein reicher Mann brachte seine Nachbarin, eine arme Witwe, 
um ihren einigen Acker, um seinen Garten damit zu vergrößern. 
Alö er an: andern Tage auf dem Acker umherging, kam die arme 
Witwe mit einem leeren Kornsacke und sprach zn 'ihm mit weinen¬ 
den Augen: „Ich bitte euch, laßt mich von meinem väterlichen Erb- 
theile nur so viel Erde nehmen, als in den Sack hinein geht." Der 
Reiche sagte: „Diese thörichte Bitte kann ich euch mal gewähren." 
Die Witwe füllte den Sack mit Erde und sprach dann: „Nun 
habe ich aber noch eine Bitte. Seid so gut und helft mir den Sack 
auf die Schulter nehmen!" Der Reiche hatte keine Lust dazi: unb 
schlug cs ihr unwillig ab. Allein die Witwe ließ mit Bitten nicht 
nach, bis er einwilligte. Als er aber den Sack aufheben wollte, 
rief er: „Es ist unmöglich; er ist mir zn schwer." Jetzt sprach die 
Witwe mit großem Nachdrucke: „Da euch dieser Sack vvlt Erde 
schon zu schwer ist, wie wird erst der ganze Acker euch in der Ewig¬ 
keit drücken!" Der Mann erschrak über diese Rede und gab ihr 
den Acker wieder zurück. 
109. Wir sollen dem Nächsten das Seine zn behalten förderlich 
nnd dienstlich sein. 
Es war einmal ein Dorf voll böser unverständiger Bauern, 
die in Feindschaft mit einander lebten. An ihrem Acker floß ein 
Strom, der einst überlief und den Damm durchbrach. Dcö einen 
Bauern Acker lag gerade bei dem Loche des Dammes und litt gro¬ 
ßen Schaden. Er that sein Möglichstes, um das Loch im Damm 
zu stopfen, aber eö war für eine Familie zu viel Arbeit, nnd die 
andern wollten ihm nicht Helsen, weil es ihnen noch keinen Scha¬ 
den brachte, und keiner des andern Freund war, oder das gemeine 
Beste suchte. Endlich ward das Loch so tief und breit, daß der 
ganze Fluß da hinaus stürzte und über alle Aeckcr deö Dorfes 
hinfloß. So hatte das ganze Dorf Schaden.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.