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schwieg und glaubte ihrer Mutter, von der sie immer die 
Wahrheit gehört hatte Auch bemühte sie fich, die Be— 
schwerden der Hihe, die noch einige Zeit auhielt, mit 
Geduld zu ertragen. 
Der Monat August flog dahin und mit ihm die 
Sonnenglut. Die kühlen Lüfte des Herbstwetters und der 
mildere Sonnenschein lockten Marie täglich in den Garten. 
Das Obst war nun reif, und man begann auch hier die 
Ernte. Marie bewunderte die reigende Pracht der Äpsel, 
Birnen und Pfirsiche; und über die Süßigkeit ihres Ge 
schmacks ging nichts. Der Honig selbst dünkte ihr nicht 
süßer. 
„Ach, Mutter, wie so herrliche Früchte hat uns Gott 
geschenkt! rief Marie. „Wie gütig muß er sein! Wie lieb 
muß er uns haben!“ 
„Ja, mein Kind; aber sieh nur einmal, fast hättest 
du mit ihm gezürnet, als er sie uns geben wollte. Wisse 
nun, durch die Hitze, die dich fast ungeduldig machte, gab 
er unsern Früchlen die reizende Farbe und den herrlichen 
Geschmack. Gewöhne dich, mein Kind, mit allem, was 
Gott tut, zufrieden zu sein; denn immer wirst du, es sei 
früh oder spät, erfahren, daß ex es gut mit uns meinte!“ 
299. Der bemitleidete Blinde. 
„Vater, sieh hier diesen armen Mann! ach, er ist blind!“ 
„Gib ihm,“ antwortete der Vater, „dieses Geldstück!“ 
Anna that, wie ihr geheißen, und legte es in die 
Hand des armen Blinden. 
„Hier, armer Mann,“ sprach sie, nimm dieses wenige! 
O, wie dauerst du mich!a 
„Ja,“ erwiderte der Blinde, „ich bin sehr arm; das 
fühle ich am meisten, wenn mir die Gaben guter Meunschen 
gereicht werden, wofür ich zwar danken, die ich aber so 
wenig wie die freundlichen Geber sehen kann.“ 
„Du bist ein armer Mann und sehr unglücklich,“ — 
sprach darauf der Vater, — „aber wen unglücklicher sind 
die, welche mit sehenden Augen Ise 
taten und die Güte des Herrn!«
	        
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