Vorwort.
Wie die Länderkunde zur Erkenntnis der geographischen Haupttatsachen und
geographischer Leitideen hinstrebt, so führt die mathematische und physikalische
Geographie zur Auffindung jener großen Gesetzmäßigkeiten, unter deren
Einfluß die Naturkräfte das Antlitz der Erde gebildet haben und täglich neu
gestalten. Vorangestellte Definitionen und Einteilungen können dabei nicht viel
Nutzen stiften. Wichtig dagegen ist es, den Schüler zur selbständigen Be-
obachtung anzuleiten, sein Beobachtungs-, Urteils- und Kombinationsvermögen
in Bewegung zu setzen und weniger seine Gedächtniskraft zu beanspruchen. Man
darf sicher sein, daß der nach einer Richtung erweckte Forschungstrieb sich natur-
gemäß auch auf andere Sphären des Denkens übertragen wird, wogegen das
nur gedächtnismäßig erworbene Wissen unfruchtbar bleibt und bald der verdienten
Vergessenheit verfällt.
Die physikalische Geographie kann wie die Physik, zu der sie die nächste
Verwandtschaft hat, zu einem höchst wertvollen Bildungsmittel werden, wenn
sie von der direkten Naturbeobachtung ausgeht und in unmittelbarem
Anschlüsse hieran in der wissenschaftlichen Denkweise und Untersuchungsmethode
übt. Sie muß also engste Fühlung mit der Natur halten. „Ein Regenschauer,
das Fließen eines Baches, das trübe Wasser des Flusses, die Gestalt einer Klippe,
die Umrisse eines Berges, die Unebenheiten eines flachen Landes — diese und
tausend andere gewöhnliche Vorkommnisse," sagt Geikie. „sollte der Lehrer
eifrig aufgreifen und als lebendige Illustrationen der Gesetze benutzen, mit denen
er seine Schüler vertraut machen muß. Auf solche Weise wird die physi-
kalische Geographie nicht gelernt wie eine gewöhnliche Schulaufgabe, sondern sie
wird vielmehr zu einer angenehmen Erholung, bei welcher zugleich das Be-
obachtungstalent geübt, die Induktion ausgebildet und die Phantasie beständig
rege erhalten wird." Wo es der Schule nicht vergönnt ist, den verkörperten
Begriff in lebendiger Natur zu schauen, ist das bildliche Anschauungsmittel bzw.
die schematische Zeichnung unabweisbares Gebot zur Vermeidung irriger und
falscher Vorstellungen und Auffassungen. Diesem Zwecke dienen die zahlreichen
Abbildungen und Skizzen dieses Buches.
Der Text ist aus 43 bis 44 Seiten zusammengedrängt, der Rest entfällt
auf erläuternde Illustrationen und Diagramme.
Freising und Kitzingen, im September 1911.
Die Verfasser.
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