Das Proletariat und die Sozialdemokratie. V 4s—6s.
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5. Die Sozialdemokratie und die Arbeiterversicherung.
1. Der wachsende Gewinn der Großindustrie brachte den Unter-
nehmern immer größere Geldmittel Kapitalien) ein; sie konnten ihre
Betriebe in wachsendem Maße verbessern und ausdehnen, immer größere
Scharen von Arbeitern einstellen. Bald kannte der Fabrikherr seine Ar-
beiter nicht mehr, zumal wenn das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft
umgewandelt wurde, in deren Gewinn sich die Inhaber der Anteilscheine
(Aktien), die Aktionäre, teilten. An die Stelle des ehemaligen Der-
trauensverhältnisses trat der Arbeitsvertrag.
Immer neue Erfindungen veranlagten immer neue Betriebsformen;
neue Unternehmungen suchten den altern durch bessere oder durch billigere
Waren das Absatzgebiet zu entziehen. Dieser Wettbewerb um die Absatz¬
gebiete, die „Konkurrenz", brachte manchen Geschäften Erschütterungen,
die zur Entlassung von Arbeitern oder doch zur Herabsetzung der Löhne
führten.
Die Arbeiter aber waren an eine eintönige, freudlose Arbeit gefesselt,
ohne jede Aussicht, einmal zu wirtschaftlicher Selbständigkeit emporzusteigen:
sie waren Proletarier geworden. In solchen „Krisen" nun gerieten sie
vollends ins Gedränge. Da blickten sie denn mit Haß und Neid auf den
Wohlstand und das Wohlleben mancher Arbeitgeber.
2. Nun erhoben sich Stimmen, die ihnen den Weg zu einer Besserung
ihrer Lage zeigen wollten. Der Rheinländer Karl Marr, der seit
den 1848 er Unruhen in London lebte, erblickte in dem Reichtum der
Fabrikherren nur die Frucht des Fleißes und Schweißes der Arbeiter;
er betrachtete die Unternehmer, von deren Umsicht und Wagemut doch
das Gedeihen der Geschäfte abhing, als Ausbeuter, denen ihr Eigentum
wieder abzunehmen sei: aller Grund und Boden, so lehrte er in seinen
Schriften, müsse dem Staat gehören, das Erbrecht abgeschafft, derselbe
Arbeitszwang für alle eingeführt werden. Zur Erreichung dieses Zieles
sei der Zusammenschluß aller Arbeiter der Welt erforderlich: „Proletarier
aller Länder, vereinigt euch!" rief er ihnen zu. Karl Marx ist der Vater
der Internationalen Sozialdemokratie.
Auch der ehrgeizige und hochgebildete Ferdinand Lassälle ging
von dem traurigen Los des Arbeiters aus, der gezwungen sei, „auf dem
untersten Rande der Lebensnotdurft herumzutanzen". Der Arbeiterstand
müsse sein eigener Unternehmer werden, um die Güter, die er erzeuge,
unter seine Angehörigen zu verteilen, und der Staat müsse ihm zu diesem
Zwecke Geld oder Kredit gewähren. Nach großen Mühen und Opfern
gelang Lasalle die Gründung eines Allgemeinen deutschen Arbeiter¬
vereins, der zu einer politischen Partei werden und durch das allgemeine,