124
B. Lrandenburgisch-preußische Geschichte.
mit Stroh umwickelt, mit Decken, Lappen, dem Zell der Tornister oder dem Silz von alten
hüten. Alle wankten, aufstocke gestützt, lahm und hinkend, fluch die Garden unterschieden
sich von den übrigen wenig, ihre Mäntel waren verbrannt, nur die Lärenmützen gaben
ihnen noch ein militärisches Aussehen. So schlichen sie daher, Offiziere und Soldaten
durcheinander, mit gesenktem Haupt, in dumpfer Betäubung. Alle waren durch Hunger
und Frost und unsägliches Elend zu Schreckensgestalten geworden."
Jetzt war die Zeit gesommert für die Völker (Europas, das Napoleomsche Joch
abzuschütteln. „Der Brand von Moskau wurde die Morgenröte der wieder¬
erwachenden Freiheit (Europas."
9. Die Befreiungskriege,
a) „Das Volk steht auf."
„(Er braucht der Tat, nicht der Verschwörungen." Diese Morte des Dichters
Heinrich von Kleist wurden jetzt wahr und erfüllt. Die preußischen Hilfstruppen
hatten auf dem linken Flügel Napoleons unter yord tapfer gekämpft. Als
nun auch hier die Franzosen durch die Russen zurückgedrängt wurden,
liefe yord sich mit dem russischen Befehlshaber in Verhandlungen ein. In
der Nacht vom 30. zum 31. Dezember 1812 schloß er mit dem General
Diebitsch in der Mühle zu Poscherun bei Tauroggen einen Vertrag ab, dem zufolge
das preußische Korps und der Landstrich zwischen ZTtemel, Tilsit und dem Haff
als neutral erklärt wurden. In zwei Schreiben an den König legte yord
die Gründe seines eigenmächtigen Handelns dar und erklärte, gern auch die
Strafe zu erdulden, wenn der König eine solche für notwendig halte, Am
Schlüsse seines Briefes sagte er: Jetzt oder nie ist der Moment: Freiheit,
Unabhängigkeit und Größe wiederzuerlangen." Das war auch die Meinung der
gesamten Nation. Mit ungeheuerm Jubel wurde yord empfangen, als er am
2. Januar in Königsberg einrückte. Der König aber war in Berlin noch von
Feinden umgeben. (Er mußte deshalb yords Tat mißbilligen und ihn wegen
Ungehorsam absetzen. Doch die Russen sorgten schon dafür, daß diese königliche
Order nicht an yord gelangte. Um sich dem französischen (Einflüsse zu entziehen,
verlegte der König am 22. Januar den Sitz seiner Regierung nach Breslau.
Am selben Tage war auch Stein in Königsberg erschienen. Auf den 5. Februar
berief er die preußischen Stände. Diese bewilligten für den bevorstehenden Kampf
13 000 Rekruten, ein „Freibataillon" von 300 Mann zu Pferde und 400 zu Fuß
als Bildungsschule für Offiziere und 20 000 Mann Landwehr. Dem Beispiele
Preußens folgte Pommern. Stein aber verließ Königsberg, um für den Anschluß
Preußens an Rußland zu wirken. Hardenbergs kluge Diplomatie wußte die
Franzosen lange über des Königs und seiner Regierung Gesinnung zu täuschen.
Am 3. Februar erschien der Aufruf zur Bildung freiwilliger Jägerkorps. Die
seither militärfreie Jugend der höheren Stände wurde zum (Eintritt aufgefordert.
Die Jägerkorps sollten gleichzeitig eine Schule für Offiziere werden. Am
10. Februar wurden die Befreiungen vom Militärdienste aufgehoben (Anhang
S. 178). Doch es hätte dieser Maßregel gar nicht bedurft. Scharenweise
strömten die jungen Leute herbei, namentlich Turner und Studenten. Professor
Steffens in Breslau führte seine Schüler aus dem hörsaal auf den Exerzier¬
platz. Schulen und Werkstätten leerten sich. Neben den Schüler trat der
Lehrer, neben den Arbeiter der Fabrikant und der Kaufmann, neben den Bürger
der Bauer, neben den gereiften Mann der kaum dem Knabenalter entwachsene
Jüngling; alle eilten voll Begeisterung in die Reihen der Streiter. Berlin stellte