Handelsgeographie.
Bearbeitet von Dr. (£. Friedrich,
a.o. Professor für Erdkunde an der Universität Leipzig.
Die wirtschaftlichen Bedürfnisse des neuzeitlichen Menschen haben im 19. Jahrhundert eine
ungeheure Steigerung erfahren, und schon längst ist der einzelne davon abgekommen, sie durch
eigene Arbeit zu befriedigen, es ist die vielseitig ineinandergreifende Tätigkeit einer großen An¬
zahl von Menschen nötig, um ihn zu versorgen. Die Nahmng und Kleidung auch des einfachsten
Mannes setzt sich zum Teil aus Stoffen zusammen, die weit entlegenen Ländern entstammen,
der gewöhnlichste Beleuchtungsstoff muß über die Breite eines Ozeans zu uns herangeführt
werden, und schon lange ertönt die Nähmaschine im indischen Kampong. Die Arbeitserzeugnisse
des einzelnen werden immer weniger zu seinem eigenen unmittelbaren Verbrauche benutzt,
sondern wandern oft durch viele Hände und über weite Landstrecken bis zu ihrer Verwendung.
Zwar haben einzelne Staaten versucht, alle äußeren Bedürfnisse ihrer Volksgemeinschaft selb¬
ständig zu befriedigen, aber immer vergebens. Die Erzeugnisse jedes Wirtschaftsgebietes dahin zu
bringen, wo sie am besten verwertet werden können, und dafür die Waren herbeiznführen, deren
es umgekehrt selbst bedarf, die es aber entweder gar nicht oder doch nicht mit Vorteil erzeugen
kann, das ist die Sache des Handels. Er ist längst aus dem engen Kreise des Tauschgeschäftes
unter Nachbarn herausgetreten, und seine Aufgabe ist die wirtschaftliche Gesamtbefriedigung
des ganzen Erdballes geworden. In der Vermittlung des Austausches der Erzeugnisse aller
Einzelwirtschaften und aller Wirtschaftsgebiete ist er mit der neuzeitlichen Entwicklung der Ver¬
kehrsmittel zum Welthandel erwachsen. „Der Kreislauf der Güter ist für der gesamten Mensch¬
heit Leben ebenso notwendig wie für das Leben des einzelnen der Kreislauf des Blutes."
Der leitende Beweggmnd für den Handeltreibenden ist zunächst der Eigennutz, der Vorteil,
den ein derartiges Vermittlungsgeschäft mit sich bringen soll; um aber einen möglichst großen
Vorteil zu erzielen, bedarf es einer bedeutenden Fülle von Kenntnissen, die zum großer: Teil
auf geographischem Gebiete liegen. Ta nicht ein einheitlicher Gesamtwille, auch nicht der Staat,
über Höhe und Art der Bedürfnisse in den einzelnen Wirtschaftsgebieten feste Gesetze verkündet,
sondern nur die Erfahrung hierüber Beobachtungen sammelt, die schließlich zu einer (freilich immer
wandelbar und lückenhaft bleibenden) Statistik der Bedürfnisse führen können, so ist es die erste
Aufgabe des Handeltreibenden, der sich seines Nutzens versichern will, die Art und die Masse
der Bedürfnisse eines Wirtschaftsgebietes kennen zu lernen. Er muß sich also überzeugen von
der Art und Stärke der Nachfrage nach irgendwelchen Waren. Die zweite Aufgabe ist, zu er¬
forschen, wo solche Güter am besten und billigsten zu erwerben sind; der Händler hat sich also
nach dem Ort und der Art des Angebots zu erkundigen und ferner, da die Erzeugnisse nur zum
Teil aus der ersten Hand ganz fertig hervorgehen, nach dem Ort und der Art ihrer Verarbeitung
oder Veredelung. Dazu tritt drittens die Aufgabe, sie nach dem Orte des Bedarfs oder Ab¬
satzes hinzuführen, der Handel muß sich also die Kenntnis der Verkehrswege verschaffen.
Dieser Aufgabe der wirtschaftlichen Gesamtbefriedigung ist der Mensch unter dem Antriebe
des Eigennutzes und des Wettbewerbs oder der Konkurrenz im allgemeinen besser Herr geworden
als irgendeiner anderen. Der Handel hat sich jedoch nicht bloß auf (nur rezeptive) Sammlung
von Kenntnissen über das Bestehende beschränkt und danach allein seine Maßnahmen getroffen,
sondern schon das Streben nach der Erhöhung seines Vorteils mußte ihn dazu treiben, das Be-