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können. Sobald die Hängeuhr in der Küche Mitternacht geschlagen hat,
sieht man die Frauen sich von ihren Bänken erheben und miteinander
flüstern; gleichzeitig drängt sich das junge Volk zusammen, nimmt die
Braut in seine Mitte und beginnt einen äußerst künstlichen Schuecken-
tanz, dessen Zweck ist, in raschem Durcheinanderwimmeln immer eine
vierfache Mauer um die Braut zu erhalten, denn jetzt gilt's den Kampf
zwischen Ehe und Juugsrauschaft. Sowie die Frauen anrücken, wird
der Tanz lebhafter, die Verschlingungen bunter, die Frauen suchen von
allen Seiten in den Kreis zu dringen, die Junggesellen durch verschobene
Paare sie wegzudrängen; die Parteien erhitzen sich, immer rascher wirbelt
die Musik, immer enger zieht sich die Spirallinie, Arme und Kniee wer¬
den zu Hilfe genommen, die Bursche glühen wie Öfen, die ehrwürdigen
Matronen triefen von Schweiß, und man hat Beispiele, daß die Sonne
über dem unentschiedenen Kampfe ausgegangen ist; endlich hat eine
Veteranin, die schon einige und zwanzig Bräute in den Ehestand gezerrt
hat, ihre Beute gepackt; plötzlich verstummt die Musik, der Kreis stäubt
auseinander und alles strömt den Siegerinnen und der weinenden Braut
nach, die jetzt znm letztenmale umgekleidet und mit Anlegung der frau¬
lichen Stirnbinde symbolisch von ihrem Mädchentum geschieden wird, ein
Ehrendienst, was den (sogenannten) Nachbarinnen zusteht, dem sich aber
jede anwesende Ehefrau, die Gattin des Gutsherrn nicht ausgenommen,
durch irgend eine kleine Dienstleistung, Darreichung einer Nadel oder
eines Bandes, anschließt. Dann erscheint die Braut noch einmal in rein¬
licher Hauskleidung und Hemdärmeln, gleichsam eine bezwungene und
fortan zum Dienen willige Brunhildis, greift aber dennoch nach ihres
Mannes bereitliegendem Hute und setzt ihn auf; die Frauen thun des¬
gleichen, und zwar jede den Hut ihres eigenen Mannes, den er ihr selbst
ehrerbietig reicht, und eine stattliche Frauenmenuett beschließt die Feier
und giebt zugleich die Vorbedeutung eines ehrenhaften, fleißigen, fried¬
lichen Ehestandes, in dem die Frau aber nie vergißt, daß sie am Hoch¬
zeitstage ihres Mannes Hut getragen. Noch bleibt den Gästen, bevor
sie sich zerstreuen, eine seltsame Aufgabe, — der Bräutigam ist nämlich
während der Menuette unsichtbar geworden, — er hat sich versteckt, offen¬
bar ans Furcht vor der behüteten Braut, und das ganze Haus wird
umgekehrt, ihn zu suchen; man schaut in und unter die Betten, raschelt
im Stroh und Heu umher, durchstöbert sogar den Garten, bis endlich
jemand in einem Winkel von altem Gerümpel die Quaste seiner Zipfel¬
mütze oder ein Endchen der Küchenschürze entdeckt, wo er dann sofort
gefaßt, und mit gleicher Gewalt und viel weniger Anstand als seine
schöne Hälfte der Brautkammer zugeschleppt wird.
Annette Freie von Droste-Hülshoff.