fullscreen: Anthologie mittelalterlicher Gedichte

42 Anthologie mittelalterlicher Gedichte 
Sumus — mit anderm Worte: 
Der Mensch pflegt schon im Tod zu schweben, 
Wenn er aufs beste wähnt zu leben. 
An einer Kerze mögt ihr traun 
Ein wahres Abbild dessen schaun, 
Da sie just dann in Asche sinkt, 
Wenn sie in hellstem Lichte blinkt. 
Aus Schwachheit ist der Mensch gemacht. 
Ihr seht, daß Frohsinn, der jeht lacht, 
In Weinen alsobald erlischt. 
Des Lebens Süße ist vermischt 
Mit Wermut und mit Galle. 
Die Blume kommt zu Falle, 
Die eben frisch und grün noch war. 
An Heinrich auch ward's offenbar: 
Der höchste Erdenherrlichkeit 
— Genossen bis auf diese Zeit, 
Von Gott verworfen ist er jetzt: 
Auf sein Gebot wird er verseht 
Aus Glanz und Wonne je und je 
In schmählich Leid, in tiefstes Weh: 
13 Vom Aussatz ward er heimgesucht. 
Als man die schwere Gotteszucht 
Erblickt an seinem Leibe, 
Da wird er Mann und Weibe 
Widerwärtig alsogleich. 
Nun seht, wie ihm, der einst so reich 
In Huld bei Hoch und Niedrig stand, 
Der Menschen Lieb' und Achtung schwand, 
So daß ihn niemand gerne sah, 
Wie auch dem Hiob einst geschah, 
Dem edlen und dem reichen Mann, 
Der auch nach höchstem Glück fortan 
In Jammer und in Elend schwebte 
Und in eklem Schmutz und Moder lebte. 
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