Full text: Lehrbuch der allgemeinen Geographie

- 256 — 
§ 101. 
Das Kaiserthum Habesch oder Abyssinien 
(7450 Q.-M. und 3 Mill. Einw.) 
War im Mittelalter ein mächtiges christliches Königreich, welches durch seine 
Gegenwehr gegen die Moslemin seine Selbständigkeit und seine Religion 
zu bewahren wußte. Der König führte früher den Titel „Groß-Negus" 
und herrschte unumschränkt; seitdem aber die Statthalter der Provinzen, 
Ras genannt, Bürgerkriege erregten, und die Gallas ins Land einfielen, 
hat der Negus sein Reich verloren. Die Ras haben sich den Königstitel 
beigelegt, und halten den Negus in Gondar gefangen, da sie aus Ehrfurcht 
vor den alten Satzungen die Würde des großen Negus nicht abzuschaffen 
wagten. Das Christenthum der Abyssinier, welches bis zum Jahre 330 
n. Chr. hinaufreicht, ist von dem der Europäer durchaus verschieden. Jene 
haben viele mosaischen Gebräuche, besonders in Bezug auf den Sabbath, 
auf Speisen und Reinlichkeit beibehalten. Taufe und Abendmahl wird bei 
ihnen nach Art des griechischen Ritus abgehalten, mit welchem sie auch die 
Fest- und Fasttage gemein haben. Ihr Gottesdienst besteht im Vorlesen 
eines Abschnittes aus dem neuen Testament und im Genüsse des heil. 
Abendmahls. Ihr geistliches Oberhaupt heißt Abu na (unser Vater). 
Nachdem man im 17. Jahrhundert diese Christeninsel im Meere des Js- 
lams und Heidenthums aufgefunden hatte, begaben sich später Jesuiten- 
Missionäre dahin und erlangten Anfangs großen Einfluß, wurden aber 
später wegen Einmischung in die staatlichen Streitigkeiten des Landes ver- 
wiesen. Seit 1829 sind evangelische Missionäre daselbst thätig. Durch 
die lange andauernden Kriege ist Ackerbau und Gewerbthätigkeit sehr ver- 
nachlässigt worden; das Volk, welches aus den Urbewohneru, Beduiuen, 
Gallas, Negern ic. gemischt ist, wird als hinterlistig und betrügerisch ge- 
schildert. Der Handel ist unbedeutend; denn das Land besitzt keine Heer- 
straße, keinen schiffbaren Fluß und nur einen Seehafen, Massuah am 
rothen Meer. Vor Kurzem bestanden in Habesch drei Königreiche: Tigreh, 
Gondar oder Amhara und Schoa, die Kaiser Theodorns, Herrscher von 
Gondar, 1852 zu einem Reiche vereinigte. Der Anfang seiner Regierung 
schien vielversprechend; bald aber trat in Massenhinrichtungen u. dergl. 
sein barbarischer Sinn mehr und mehr hervor. Er fürchtete und haßte 
die Europäer, warf die protestantischen Missionäre und zuletzt auch den 
englischen Consul ins Gefängniß. Nachdem England sich vergebens um 
deren Freilassung bemüht, unternahm es eine kriegerische Expedition gegen 
Habesch. Am 13. April 1868 wurde des Kaisers letzter Zufluchtsort 
Magdala erstürmt, und hier erschoß er sich selbst, um nicht in die Hände 
der Engländer zu fallen. In Tigreh: Adowa, 10,000 E. Axnm war 
einst Hauptstadt. In Gondar: Gondar, 12,000 E., Residenz des Abnna 
und Groß-Negus. In Schoa: Ankobar, 5000 Einw. 
Anmerkung. Im südlichen Theile von Habesch liegen die von Gallas 
besetzten Landschaften Enarea und Kaffa, die Heimat des Kaffeebaums. 
Im Küstenlande Samhara wohnen unbändige Nomaden. Daselbst 
liegt Massuah, eine wichtige Handelsstadt, welche seit 1814 zu 
Aegypten gehört.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.