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§ 101.
Das Kaiserthum Habesch oder Abyssinien
(7450 Q.-M. und 3 Mill. Einw.)
War im Mittelalter ein mächtiges christliches Königreich, welches durch seine
Gegenwehr gegen die Moslemin seine Selbständigkeit und seine Religion
zu bewahren wußte. Der König führte früher den Titel „Groß-Negus"
und herrschte unumschränkt; seitdem aber die Statthalter der Provinzen,
Ras genannt, Bürgerkriege erregten, und die Gallas ins Land einfielen,
hat der Negus sein Reich verloren. Die Ras haben sich den Königstitel
beigelegt, und halten den Negus in Gondar gefangen, da sie aus Ehrfurcht
vor den alten Satzungen die Würde des großen Negus nicht abzuschaffen
wagten. Das Christenthum der Abyssinier, welches bis zum Jahre 330
n. Chr. hinaufreicht, ist von dem der Europäer durchaus verschieden. Jene
haben viele mosaischen Gebräuche, besonders in Bezug auf den Sabbath,
auf Speisen und Reinlichkeit beibehalten. Taufe und Abendmahl wird bei
ihnen nach Art des griechischen Ritus abgehalten, mit welchem sie auch die
Fest- und Fasttage gemein haben. Ihr Gottesdienst besteht im Vorlesen
eines Abschnittes aus dem neuen Testament und im Genüsse des heil.
Abendmahls. Ihr geistliches Oberhaupt heißt Abu na (unser Vater).
Nachdem man im 17. Jahrhundert diese Christeninsel im Meere des Js-
lams und Heidenthums aufgefunden hatte, begaben sich später Jesuiten-
Missionäre dahin und erlangten Anfangs großen Einfluß, wurden aber
später wegen Einmischung in die staatlichen Streitigkeiten des Landes ver-
wiesen. Seit 1829 sind evangelische Missionäre daselbst thätig. Durch
die lange andauernden Kriege ist Ackerbau und Gewerbthätigkeit sehr ver-
nachlässigt worden; das Volk, welches aus den Urbewohneru, Beduiuen,
Gallas, Negern ic. gemischt ist, wird als hinterlistig und betrügerisch ge-
schildert. Der Handel ist unbedeutend; denn das Land besitzt keine Heer-
straße, keinen schiffbaren Fluß und nur einen Seehafen, Massuah am
rothen Meer. Vor Kurzem bestanden in Habesch drei Königreiche: Tigreh,
Gondar oder Amhara und Schoa, die Kaiser Theodorns, Herrscher von
Gondar, 1852 zu einem Reiche vereinigte. Der Anfang seiner Regierung
schien vielversprechend; bald aber trat in Massenhinrichtungen u. dergl.
sein barbarischer Sinn mehr und mehr hervor. Er fürchtete und haßte
die Europäer, warf die protestantischen Missionäre und zuletzt auch den
englischen Consul ins Gefängniß. Nachdem England sich vergebens um
deren Freilassung bemüht, unternahm es eine kriegerische Expedition gegen
Habesch. Am 13. April 1868 wurde des Kaisers letzter Zufluchtsort
Magdala erstürmt, und hier erschoß er sich selbst, um nicht in die Hände
der Engländer zu fallen. In Tigreh: Adowa, 10,000 E. Axnm war
einst Hauptstadt. In Gondar: Gondar, 12,000 E., Residenz des Abnna
und Groß-Negus. In Schoa: Ankobar, 5000 Einw.
Anmerkung. Im südlichen Theile von Habesch liegen die von Gallas
besetzten Landschaften Enarea und Kaffa, die Heimat des Kaffeebaums.
Im Küstenlande Samhara wohnen unbändige Nomaden. Daselbst
liegt Massuah, eine wichtige Handelsstadt, welche seit 1814 zu
Aegypten gehört.