Der russische Feldzug. Borck und Tauroggen. §§ 206. 207.
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Ausgang des Feldzugs keinen entscheidenden Einfluß gehabt, aber dem
Volksbewußtsein erschien er wie ein deutliches Vorzeichen eines furchtbaren
Gottesgerichts. Napoleon freilich wollte nicht an das Sinken seines
Sterns glauben: er blieb in der verödeten Stadt und wartete von einem
Tage zum anderen auf Friedensanerbietungen von St. Petersburg. Aber
keine Botschaft kam, und endlich, nach 3 Wochen, als der Winter schon
vor der Tür stand, bezwang er seinen Stolz so weit, daß er selbst einen
Gesandten mit Friedensvorschlägen absandte.
3. Aber in St. Petersburg war in Alexanders Umgebung der deutsche
Mann, dem unablässiger Kampf gegen den Unterdrücker Deutschlands und
Europas Lebensaufgabe war — der Freiherr vom Stein (§ 202), der
nach seiner Entlassung aus dem Staatsdienst (1808), von Napoleon ge¬
ächtet und verfolgt, zuerst nach Österreich, dann 1812 nach Rußland
gegangen war. Daß Alexander trotz kleinmütiger Stimmen in seiner
nächsten Umgebung mit dem entschlossenen Worte: „Er oder ich" im
Kriege gegen Napoleon ausharrte — das war vor allem Steins Werk.
Der Zar ließ sich auf Verhandlungen überhaupt nicht ein, und so mußte
sich Napoleon zum Rückzüge entschließen (18. Oktober). Bald sah er sich auf
die mit Leichen und Trümmern bezeichnete, auf dem Hinmarsch vollkommen
ausgeplünderte alte Straße gedrängt, und dazu kam der furchtbare russische
Winter über ihn. Alle Ordnung lockerte sich. Beim Übergange über die
Beresina (26.-29. Nov.) verlor der Knäuel von halberfrorenen
Menschen, der von der „großen Armee" übrig geblieben war, von den
verfolgenden Russen hart bedrängt, jeden Zusammenhang, und viele
Tausende fanden in den kalten Fluten ihr Grab. Immer entsetzlicher wurde
das Elend der unglücklichen, sich kaum noch fortschleppenden Leute, immer
größer die Zahl derer, die hilflos und verzweifelt liegen blieben. Napoleon
selbst verließ, tief in Pelze gehüllt, in raschem Schlitten sein Heer. Über
Warschau und Dresden eilte er nach Paris, fast der erste Bote seiner
eigenen Niederlage in seinem durch falsche Siegesberichte bisher getäuschten
Lande. Die Kälte, die nachsetzenden Kosaken, Hunger und Seuchen rafften
Tausende und aber Tausende hin. Nur wandelnde Leichen, bleiche Ge¬
stalten, in Stroh, in Weiberröcke, in Lumpen gehüllt, wankten gegen das
Ende des Zahres 1812 über die polnische Grenze nach Preußen zurück.
Es war Wahrheit, was der Dichter sang: „Mit Mann und Roß und
Wagen hat sie der Herr geschlagen."
§ 207. Porck und der Vertrag von Tauroggen. Die 20 000
Preußen, die mit gegen die Russen hatten marschieren müssen, standen
seit dem Sommer unter dem General von Aorck, der sich schon 1806
bei Blüchers Rückzüge auf Lübeck, damals noch Oberst, durch die ent¬
schlossene Strenge seiner Truppensührung und durch fernen unbeug¬
samen, kaltblütigen Mut ausgezeichnet hatte. Er schlug sich auch jetzt
mit seinen Preußen aufs tapferste gegen die Russen, aber die Franzosen