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schwebenden Ganges mit majestätischer Haltung zeigt der vielgefeierte Apollon vom
Belvedere (Taf. 31), vielleicht ein Werk des Atheners Leochares*), Derselben
Zeit, vielleicht demselben Künstler gehört die Artemis von Versailles an. An die
Kunst des Praxiteles erinnern, wenn auch im weiten Abstand, viele der erhaltenen
attischen Grabreliefs. Sie führen zumeist Bilder aus dem Leben des Verstorbenen
vor und tragen einen schlichten, edel zurückhaltenden Charakter”) (Taf. 24).
Eine ganz andere Auffassung als Praxiteles vertrat sein Zeitgenosse Sko pas.
Er fand für seine Gestalten einen neuen seelischen Ausdruck, den der Leidenschaft,
der Schwermut und des Schmerzes. Eine Vorstellung von der Kunst des Skopas gibt
uns die wahrscheinlich auf ihn zurückgehende, in vielen Nachbildungen erhaltene
Gruppe der Niobe und ihrer Töchter (Taf. 24).
_ Ein Kunstwerk mit asiatischem Einschlag sind die Reliefs an einem Grabmal in Lykien*), die
ich in ihrer Wiedergabe heroischer Szenen wahrscheinlich an Gemälde anlehnen. Daher finden wir
\n ihnen perspektivische Gesetze beobachtet.
Schon in die mazedonische Zeit reicht der peloponnesische Erzbildner L ys ip p,
der den Kanon seines Landsmannes Polyklet dem weicheren Geschmacke der neuen
Zeit entsprechend umgestaltete. An die Stelle der schweren polykletischen Figuren
treten geschmeidige, deren schlanker Oberkörper sich leicht „in den Hüften zu wiegen
Scheint‘ (Taf. 25). Der überaus fleißige Künstler hat für Poseidon, Ares und Herakles
einen feststehenden Typus geschaffen und seinen Menschenbildnissen — sowohl den
Porträts (Alexander d. Gr.) als den geistreichen Phantasiebildern (Äsop) — persön-
liches Leben eingeflößt.
Die Malerei ist uns fast nur durch die Zeugnisse antiker Schriftsteller und
Späte handwerksmäßige Nachbildungen in den Privathäusern von Pompeji bekannt.
Sie machte große Fortschritte über Polygnot hinaus*). Der Athener Apo llodor
beobachtete zuerst die Gesetze der Perspektive und drückte Licht und Schatten aus.
Spätere Maler zeichneten bereits nach Akten. Die großen Maler, die das Altertum
begeisterten und in vielen kennzeichnenden Anekdoten weiterlebten”), sind für uns
leere Namen, auch der berühmteste: der Ionier Apelles, der Lieblingsmaler
Alexanders d. Gr.
IX. Das mazedonische Zeitalter.
1, Die Begründung der mazedonischen Großmacht durch Philipp IL. (359—836).
Mazedonien bis auf Philipp II. Land und Volk von Mazedonien gemahnten noch au die Zeiten
der homerischen Kultur. Zum größten Teil Gebirgsland, war Mazedonien weithin von Hochwald
bedeckt, in dem noch Auerochsen und Löwen hausten. Nur in der Ebene nördlich vom Thermäischen
Meerbusen fanden sich wenige befestigte Ortschaften; Städte im griechischen Sinn gab es nicht. Die
Mazedonier sind wahrscheinlich zu den griechischen Stämmen zu rechnen, aber sie hatten sich mit
den benachbarten Illyriern vermischt. Außerhalb der hellenischen Gesittung stehend, galten sie den
Griechen als Barbaren. Es war ein Volk von freien Jägern, Viehzüchtern und Bauern, derb, genügsam
und abgehärtet. Über der großen Masse erhob sich der Adel, der seine Einkünfte aus dem aus-
Zedehnten Landbesitze zog, aber weniger der Landwirtschaft als der Jagd, dem Reiterkampf und dem
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1) Die erhaltene Marmorstatue ist Kopistenarbeit. — ?*) Vgl. Quellenbuch Nr. 21. — *) Der
Ört heißt heute Gjölbaschi. Die Reliefs befinden sich jetzt im Wiener Hofmuseum, — 4) Zur Monu-
Mental. und Freskomalerei trat die Tafelmalerei (auf Holz- oder Marmortafeln). Die Ölmalerei ist
dem Altertum unbekannt geblieben. — 5) Z. B. Zeuxis und Parrhasios.