Full text: Allgemeine Erdkunde, Länderkunde der außereuropäischen Erdtheile ([Bd.] 1)

§. 32. Die Hausthiere. 129 
civilisation hervorgerufen, die sich auch in der geschichtlichen EntWickelung dieser 
Staaten abspiegelt. Aehnliches hat sich seit achtzig Jahren im östlichen 
Theile Australiens wiederholt, nur daß hier die reichere Natur des Landes und 
die größere sittliche und intellektuelle Kraft, welche die Ansiedler aus ihrer 
englischen Heimat mitbrachten, ein solches Zurücksinken in rohere Lebensformen, 
wie es dort bei den Spaniern der Fall war, verhindert hat. Auch in Süd- 
afrika bilden die heerdenhaltenden, von den holländischen Einwanderern ab- 
stammenden Boers einen Hirtenstamm, aber hier hält die Möglichkeit, fast 
überall Ackerbau zu treiben, dieselben auf höherer Culturstufe fest. 
Zuerst scheint von den Menschen das Schas gezähmt zu sein; dafür sprechen 
die zahllosen Varietäten, in denen es auftritt, und die zu ihrer Bildung langer 
Zeiträume bedurft haben. Die Stammform scheint im wilden Zustande nicht 
mehr vorzukommen. Im Orient noch immer wichtig als fleischgebendes Thier, 
hat das Schaf für uns hauptsächlich seine Bedeutung durch die Wolle, die 
für einen großen Theil der europäischen Bevölkerung mitsammt ihren über- 
seeischen Auswanderern die Bekleidung liefert und daher einen wichtigen Han- 
delsartikel abgibt. Die feinste Wolle liefert Deutschland (Sachsen, Schlesien, 
Mähren), und in der neueren Zeit sind außerhalb Europa's Australien, Süd- 
afrika und die La Plata-Gegenden wichtige Productionsländer geworden. Die 
Interessen der reichen Schafheerdenbesitzer Australiens haben lange Zeit die 
Verwaltung Australiens im Sinne einer Hemmung der Einwanderung kleinerer 
Grundbesitzer geleitet. Australien und Neuseeland hatten 1876 schon 64 Mill. 
Stück Schafe gegen 24 Mill. im Jahre 1861. Und welche Dimensionen 
nimmt die Wollausfuhr an! Australien lieferte im Jahre 1810 etwa 64 Kilgr., 
1863 schon 33 Millionen, 1868 67 Mill., 1877 aber 160 Mi«. Kilogr.; 
die La Platastaaten im Jahre 1863: 11 Mill., 1877: gegen 100 Mill. Kilogr. 
das Capland mit Natal in den letzten Jahren 23—25 Mill. Kilogr. Diese drei 
Länder producierten 1877 daher sast so viel wie ganz Europa. Gegen einen 
so raschen Aufschwung der überseeischen Wollproduction können sich die euro- 
päifchen Züchter nur durch die Gewinnung der feinsten Sorten schützen. 
Auch die Zähmung des Rindes reicht in die Urzeit des Menschen- 
geschlechts hinauf, jedenfalls noch bis in die Zeit, wo die Völker des indo- 
germanischen Stammes noch ein ungetrenntes Volk in der asiatischen Heimat 
bildeten. (Die den indogermanischen Sprachen gemeinsame Form Tochter, 
u. s. w., bedeutet „Melkerin"). Die wilde Form ist ausgestorben. 
Ob aber allen gezähmten Varietäten eine und dieselbe Urform zum Grunde 
liegt, ist noch zweifelhaft. Der Verbreitungsbezirk ist ein sehr großer: von 
den Palmenhainen Indiens bis zu den eisigen Gestaden Islands, wo das 
Thier mit animalischer Nahrung (Heringsabfällen) erhalten wird. In Süd- 
amerika treffen wir jetzt die größten, halbverwilderten Heelden. Die Wichtig- 
keit des Rindes als eines fleischgebenden Thieres können wir nur andeuten, 
indem wir beispielsweise aus die ungeheuren Zufuhren hinweisen, welche die 
großen europäischen Bevölkerungscentren bedürfen, und auf die dadurch bedingte 
Entwickelung der Landwirtschaft und Viehzucht in Europa. (Ein in England 
geschlachtetes Stück Rindvieh wiegt im Durchschnitt 5 Centner, ein in Frankreich 
geschlachtetes dagegen 2 Centner). In Südamerika und Australien war das 
Fleisch sast werthlos, in den La Plata-Staaten heizte man die Ziegelöfen mit 
den Cadavern der getödteten Thiere, bis man jetzt Mittel gefunden hat, 
dasselbe in getrocknetem Zustande oder als Extract — eine Fabrik in Uruguay 
liefert jährlich bereits 1 Million Pfund davon — zu einem Gegenstande des 
Exports zu machen. Bis dahin wurde dort das Vieh nur um der Häute, 
der Hörner und des Fetts willen gezogen, mit welchen Producten der euro- 
päische Import bezahlt wurde. Noch beachtenswerther sind die mit vollem Erfolg 
gekrönten Versuche, frisches Fleisch und lebende Thiere aus Amerika, ja aus 
Australien nach Europa zu führen. Bereits exportieren die Verein. Staaten 
G uth e-W a g n er, Geographie. g
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.