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von Europa wenig zu fürchten. Deshalb werden auch große Opfer für die Kolonien
gebracht, ohne daß man einen unmittelbaren Nutzen erhofft.
Was die Engländer vor den anderen Europäern aber am meisten auszeichnet,
das ist der durch ihre Handelsbeziehungen und ihre koloniale Betätigung beförderte
weite Blick, der sich nicht eng auf das Nächstliegende beschränkt, sondern sie die
ganze Welt umfassen läßt. Das gesteckte Ziel wird dann trotz aller Hindernisse
fest im Auge behalten und mit großer Zähigkeit trotz aller Kosten an Blut und
Geld schließlich auch erreicht. So vereinigen die Engländer in ihrem Wesen die
Vorzüge der Völker, aus deren Blutmischung sie entstammen, die zähe Beharrlich¬
keit der Germanen, die Beweglichkeit der Romanen und den ins Grenzenlose
strebenden Wagemut der Normannen.
Frankreich.
Der berühmteste Geograph des Altertums, Strabo, schrieb zu einer Zeit,
als Frankreich noch Gallien hieß und zur Hälfte mit Wäldern bedeckt war: „Es
scheint, als ob ein fürsorgender Gott diese Hügelketten aufgerichtet, diese Meere
genähert und diese zahlreichen Flüsse eingegraben hat, um später aus Gallien das
blühendste Land der Erde zu machen.“
Frankreich ist weder ein Küstenland noch ein Binnenland, sondern es hat
die Vorzüge von beiden Lagen ohne ihre Nachteile. Es berührt das Meer mit der
Hälfte seiner Grenzen, während sich die andere Hälfte eng an das europäische
Festland schließt. Wenn es von allen Seiten von Wasser umgeben wäre, würde es
abgeschlossen sein und wenig Einfluß auf das übrige Europa ausüben, und wenn
es mitten zwischen anderem Lande läge, hätte es keine Marine und keinen ausge¬
breiteten Handel. Dank seiner günstigen Lage kann es seine Schiffe auf vier Meere
schicken: auf die Nordsee, die es mit den deutschen und skandinavischen Staaten
verknüpft, auf den Kanal, der es mit den Britischen Inseln verbindet, auf den
Atlantischen Ozean, der zur Neuen Welt hinüberführt, und endlich auf das reiche
Mittelländische Meer, den Mittelpunkt des Handels und Verkehrs der drei alten
Erdteile. Zugleich steht es durch seine Landgrenze mit dem Herzen Europas in Be¬
rührung. Es hat eine leichte Verbindung mit allen großen europäischen Industrie¬
gebieten und sichere Absatzwege nach fünf Ländern: nach Belgien, Deutschland,
Italien, Spanien und der Schweiz.
Frankreich ist weder Ebene noch gebirgig. Es hat viele Ebenen, großartige
Hochflächen, lachende Täler und den höchsten Gebirgsstock von Europa, den Mont¬
blanc. Sein innerer Aufbau hat die Vorzüge, daß er innerlich abgeschlossen ist und
ein mittleres Tiefland besitzt, das Becken der Seine und Loire, das in enger Ver¬
bindung mit der Rhone-Saone-Furche steht und auch von der Garonne-Furche
nicht losgelöst ist. Die Gebirge des Innern hindern nirgends den Verkehr und er¬
möglichen überall eine bequeme Verbindung der Flüsse. Dazu kommt der Vorteil,
daß das Land mit mehreren Ebenen an die Küste heranreicht.
Frankreich gehört zu dem glücklichen gemäßigten Erdgürtel, der weit genug
vom Äquator und vom Pol entfernt ist, um weder übermäßiger Winterkälte noch
übergroßer Sommerhitze ausgesetzt zu sein. Die Nähe des Meeres gibt ihm ein
mildes Klima. Abwechselnd wehen trockene Nord- und Nordostwinde vom Fest¬
lande und feuchtwarme Winde aus W. und SW., die vom Atlantischen Ozean
und vom Golfstrom reichliche Niederschläge bringen. Die mittlere Jahreswärme