948 Europa — Skandinavien.
das ernstlicher werdende Begehren des Volkes suchte sich der König 1834 durch Anord-
nung von Provinzialständcn zu helfen, die indes nicht genügten. Christian VIII.
begriff, daß er mehr gewähren müsse. Nur war er zugleich wegen der künftigen Thron-
folge bekümmert nnd glaubte, daß vor allem erst eine engere Verbindung Schleswig-
Holsteins mit dem eigentlichen Dänemark zu bewirken nöthig sei. Während der Streitig¬
keiten, in die ihn dieser Plan und der berüchtigte „offene Brief" von 1846 mit den
Herzoglhümern und der deutschen Nation verwickelte, starb er (1848.) Umsomehr
mußte sich sein Nachfolger Friedrich VII. beeilen. Schon im Oktober ward aus Jüt-
land nnd allen Inseln eine konstituirende Versammlung berufen und am 25. Mai 1849
das mit ihr berathene Reichsgrundgesetz beschlossen, wouach die Staatsform in
die Reihe der beschränkt monarchischen eintrat. Danach regiert der König mit ver-
antwortlichen Ministern und theilt die gesetzgebende Gewalt mit 2
Kammern, dem Landest hing, und dem Volksthing; zu diesem führt direkte
Volkswahl, zu jenem nur indirekte und ein Alter von 40 Jahren nebst größerem Ver-
mögen. Es begreift sich, daß Dänemarks Königen, nachdem sie Norwegen und so
manches andere (z. B. 1845 auch die ostindischen Besitzungen) hatten ausgeben müssen, alles
daran liegen mußte, wenigstens ihre beiden besten Provinzen, Schleswig und Hol¬
stein, sich zu erhalten; der Weg, den sie dazu einschlugen, war freilich der verkehrte. Wie
einerseits unglückliche Umstände, anderseits der unerhörte Trotz und Uebermuth der Dänen
den Verlust dieser Herzogtümer herbeiführte, ist weiter oben S. 829 schon erzählt. Seitdem
sind die Hilfsquellen des Landes vermindert; alle Kräfte werden angestrengt, um
wenigstens Kopenhagen seinen Platz unter den Großhandelsstädten zu erhalten. Seit-
dem ist aber auch die Abneigung der Dänen gegen alles Deutsche, schon vorher stark,
noch mehr gestiegen, und die Ereignisse von 1870 haben nur zur Erhöhung derselben
beigetragen. Doch kann man aus manchen Vorkommnissen der jüngsten Zeit schließen,
daß allmählich eine bessere und (im eigenen Interesse) vernünftigere Einsicht sich geltend
macht. Jetziger König Christian IX.
In Bezug auf Confefsion ist die Bevölkerung des Staats evangelisch-lutherisch,
im Königreiche mit Bischöfen. Die Volksbildung ist vortrefflich, besser als in vielen
deutschen Ländern; es soll wenig Erwachsene geben, die nicht lesen und schreiben
könnten. — Die Sprache der Dänen fällt, wie ihre Literatur, mit der der Nor-
weger zusammen (s. n.); sie steht in Bezug auf den Konsonantismus fast durchweg auf
derselben Stufe lautlicher Entwicklung wie die nieder- oder plattdeutschen Mundarten
und auch das Englische — Mangel der sogen, zweiten Lantverschiebnug. die das Hoch-
deutsche auszeichnet — nnd bildet den einen Ast der nordgermanischen Sprachen, deren
anderer das Schwedische ist. Früher waren Dänisch-Norwegisch und Schwedisch nur eine
Sprache und die in diesem sogen. Oldnorsk (b. h. Altnordischen) erhaltenen Denk-
mäler der Poesie und Prosa zeichnen sich durch charaktervolle Kürze und Kraft des Aus-
druckes aus. Dazu gehören: Die alte Edda, eine Sammlung von dichterischen
Götter- und Heldensagen der Vorzeit, die von dem isländischen Bischof Saemnnd
Frode, bald nach Untergang des Heidenthnms, etwa im Jahr 1100 veranstaltet
wurde. 100 Jahr später verfaßte der isländische Lagmann (d. i. Vorsteher des Frei-
staats) Snorro Stnrleson (lebte von 1179—1241) ein Buch über die dichterische
Kunst, worin er die heidnischen Mythen mit Auszügen aus der alten Edda erzählt.