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über den weißen Sand bis an die Dünen und laden den armen Strand¬
fischer wie den reichen Reeder zur Fahrt ein. Bald schaukeln sich auf
der grünen Flut die kleinen Fischerboote mit ihren roten, und die See¬
schiffe mit ihren weißen Segeln, und schnelle Dampfer durchfurchen die
Wogen. — Das freundliche Bild ändert sich aber, wenn ein schwerer
Nordost sich mit aller Gewalt auf das Meer stürzt. Dann färben sich
von den heraufziehenden, schwarzen Wolken die Wellen dunkelgrau; sie
steigen immer höher und höher in ununterbrochenem Rollen, und der
überstürzende Kamm kräuselt sich mit weißem Schaume. Bald rast ein
Sturm über die aufgeregte See; ein Blitz zuckt aus den Wolken, und
mit dem Rollen des Donners mischt sich das Gebrüll der am Ufer-
brandenden Wogen. Du stehst an dem hohen Strande sicher; aber das
Schiff, das mitten in diesem Getöse bald auf bje Spitze der Wellen
gehoben, bald in den Abgrund gesenkt wird, ringt vergeblich mit dem
Sturme. Schon hat der Wind die Masten halb herabgeschlagen; schon
hängen die Segel, in Fetzen zerrissen, an den Spieren; schon haben die
Wellen das Steuer zerbrochen, und so treibt das Schiff, ein Spiel des
Windes und der Wogen, dem Lande immer näher. Die Schiffer er¬
kennen wohl die Gefahr. Ein Kanonenschuß als Notruf blitzt von dem
Vorderteile des Schiffes auf, und der Knall dringt durch den Sturm
bis an dein Ohr. Du siehst den Untergang des Schiffes vor Augen
und kannst doch nicht helfen; denn wer sollte es wagen, bei solchem
Ungestüme in die See hinauszufahren? — Da schallt ein zweiter, ein
dritter Schuß vom Schiffe her; eine Welle hebt es hoch empor, und es
schießt mit ungeheurem Anpralle auf den steinigen Grund, so daß es
voneinander berstet. Ein Schrei des Schreckens vom Ufer her begegnet
dem Angstrufe der Gestrandeten. Wellen auf Wellen wälzen sich uner¬
müdlich über das Wrack und reißen manchen wackern Mann über Bord
ins kühle Grab, bis endlich auch die letzte Planke losgerissen wird und
Rumpf und Masten mit Mann und Maus versinken. — Und wenn am
Morgen die Sonne wieder klar und heiter leuchtet, dann rollen nur
noch die geschäftigen Wellen mit dumpfem Gemurmel dahin, als plau¬
derten sie von dem Raube, den sie gestern gemacht. Leseb. v. Wetzet.
147. Deutschland.
Deutschland, unser Vaterland, gehört zu den schönsten Ländern,
welche die Sonne bescheint in ihrem ewigen Laufe.
Unter einem gemäßigten Himmel, unbekannt mit der sengenden
Luft des Südens wie mit der Erstarrung nördlicher Gegenden, die größte
Abwechselung, die reichste Mannigfaltigkeit, köstlich für den Anblick, er¬
heiternd und erhebend für das Gemüt, bringt Deutschland alles hervor,
was der Mensch bedarf zur Erhaltung und zur Förderung des Geistes,