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Mythologie, mittel - alterlicher Romantik und moderner Kunst. Ueberall
— das kommt hier zum Bewußtsein — ragt in die Stadt das Land, in
die Gegenwart die Vergangenheit, in das weltliche das kirchliche, in das
Cultur- das Naturleben hinein, und das macht eben Prag so merkwürdig,
so eigenthümlich. Es läßt sich kein vollerer Gegensatz denken, als zwischen
einer Stadt wie Berlin mit einer Stadt wie Prag. — Berlin in einer
durchaus flachen, einförmigen Sandebene an der unscheinbaren Spree; —
Prag in einem wechselreichen Hügellande, zum Theil selbst auf Berges¬
höhen erbaut, an den pittoresken Ufern der Moldau; um Berlin die
Natur des norddeutschen Tieflandes mit seinem Repräsentanten, der Kie¬
fer — um Prag schon süddeutsche Natur, Wein- und Obstgärten; die
Straßen von Berlin alle breit, regelmäßig, geradlinig — in Prag kaum
zwei breite, gerade Straßen, alle andern krumm und eckig; in Berlin
fast alle Häuser modern, schön, freundlich, aber einförmig und prosaisch,
ohne geschichtliche Erinnerungen, — in Prag viele rußige alterthümliche
Häuser, unregelmäßig, oft bizarr, mit gewölbten Vorbauten und Lauben-
gängen, die Paläste aus ältester Zeit, jeder mit seiner Geschichte ein Re¬
präsentant grauer Vergangenheit; kein Haus dem andern gleich, ein bunter
Wechsel; — in Berlin Alles fein, abgeschliffen, äußerst elegant, vornehm
ein, so zu sagen, spirituelles Wesen im Ganzen; — in Prag viel Schmutz,
ein ganzes Judenviertel, ein mehr materieller, plebejischer Anstrich; man
sucht vergebens nach einem Weftminster oder einer Wilhelmsstraße; überall
böhmische Bauern, Juden und Pöbel, an allen Ecken und Enden Fleisch-
und Semmelbuden, Hökerweiber und dampfende „Würstel", nirgends etwas
Exclusives. In Berlin sind Kirchen und Glocken eine Seltenheit, in Prag
ist Beides im Ueberfluß; Berlin die Residenz der Friedriche und der
Philosophen, Prag die Residenz der Erzbischöfe.
Das anziehendste und wichtigste Schauspiel bietet Böhmen dar in
der Mischung zweier grundverschiedener Nationen, die seine Bevölkerung
bilden. Von den mehr als fünf Millionen sind nämlich 2,900,000 Czechen
(Tschechen), der übrige Theil Deutsche, von dem das Volk Israel noch in
Abzug zu bringen ist, das sich überall an das Slavenvolk, wie die Klette
an die Wolle, anklebt. — Wie zwei feindliche Elemente sind jene zwei
Völkersubstanzen oft zischend und brausend gegen einander gefahren, haben
sich zuweilen mechanisch verbunden, aber nie chemisch: eine drohte die
andere zu verschlingen, und doch war nur die eine oben, wenn die andere
zu Boden fuhr; das czechische Volkselement schien endlich aufgelöst, und
siehe da! es lebte wieder auf mit neuer frischer Kraft. Daß die Deut¬
schen in Böhmen, obwohl die geringere Zahl, nicht den Czechen erlegen
sind, kann nicht Wunder nehmen, da sie die große west-europäisch-ger¬
manische Cultur zur schützenden Grundlage hatten, wenn sie auch nicht
die regierenden Herren gewesen wären. Daß aber die czechischen Slaven,
von ihrem Volksstamme abgerissen, ohne nationale und geistige Ein¬
heit mit einem größern Ganzen doch ihr eigenthümliches Wesen bewahrt