322
mangeln nicht, große Zierlichkeit im Abziehen der Ringe und Benetzen der
Fingerspitzen anzubringen; die Herren gehen schon etwas dreister zu Werke.
Nach dieser Reinigungsceremonie ändert sich die ganze Décoration.
Das Tischtuch mit Allem, was darauf stand, verschwindet, und der schöne
hellpolirte Tisch von Mahagonyholz glänzt uns entgegen. Jetzt werden
Flaschen und Gläser vor den Herrn des Hauses hingestellt, das Obst
wird ausgetragen, und jeder Gast erhält ein kleines Couvert zum Dessert,
ein Glas und ein kleines, rothgewürseltes oder auch ganz rothes, viereckig
zusammengelegtes Tuch. Dies darf man aber nicht entfalten; man be¬
nutzt es nur, um das Glas darauf zu stellen. Das Obst wird nicht
herumgereicht, sondern wie vorher die andern Gerichte vorgelegt und mit
vielen Fragen ausgeboten. Es ist im Ganzen schlecht, sauer und halb¬
reif. Haselnüsse, die Lieblingsfrucht der Engländer, welche sie Jahr aus
Jahr ein knacken, fehlen nie dabei; süße Confituren und Bonbons sind
wenig in Gebrauch.
Jetzt fangen die Flaschen an die Hauptrolle zu spielen. Jeder schiebt
sie seinem Nachbar zu, nachdem er sich selbst Etwas eingeschenkt hat, viel
oder wenig, wie man will; nur darf das Glas nicht leer bleiben, und bei
jedem Toast muß das Eingeschenkte ausgetrunken werden. Den Damen
sieht man indeß durch die Finger, wenn sie blos ein wenig nippen. Der
Wirth bringt nun einige Toaste aus, er läßt seine Freunde leben, die sich
dann wieder durch ein Gegencompliment an ihn und die Dame vom Hause
revanchiren; die königliche Familie wird nie bei dieser Gelegenheit ver¬
gessen. Einige der Gäste geben „Sentiments" zum Besten, d. h. kurze
Sätze, die zuweilen auf die Damen Bezug haben, z. B. merit to win
a heart and sense to keep it: „Verdienst, ein Herz zu gewinnen, und
Verstand, um es zu behalten/' Alle diese Gesundheiten werden mit lau¬
ter Stimme von Jedem beim Trinken wiederholt.
Diese Gesundheiten, Ermunterungen zum Trinken, Ermahnungen,
die Flasche weiter zu schieben, find Alles, was man jetzt hört. Bald
nachdem man der Königin die gebührende Ehre erzeigt hat, erhebt sich die
Dame des Hauses aus ihrem Lehnsessel; mit einer kleinen Verbeugung
giebt sie den übrigen Damen das Signal, alle erheben sich und trippeln
sittsamlich hinter ihrer Führerin zur Thür hinaus. Sogar wenn Mann
und Frau tête-à-tête allein essen, geht Madame fort und läßt den Ehe¬
herrn allein hinter der Flasche. Ob er dann auch Toaste ausbringt, ist
uns nicht bekannt.
Jetzt, da die Frauen fort sind, wird es den Herren leichter um's
Herz, aller Zwang ist nun verbannt, sie bleiben unter sich allein bei Wein,
Politik und manchem derben Spaß, den sie während der Damen Gegen¬
wart mühsam zurückhalten mußten. Ihr lautes Sprechen und Lachen ver¬
kündet dem ganzen Hause, daß ihnen gar wohl zu Muthe sei. Die Frauen
aber, die Armen, was wird aus ihnen? Da sitzen sie wieder am Kamin
und sehen sich an und gähnen mit geschlossenem Munde. Nicht einmal