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geht. Ueber der Brust trägt der Tadibe eine Eisenplatte. Der Haupt- 
tadibe nimmt die Trommel, die mit Messingringen, Zinnplättchen und 
Thierschwänzen herausgeputzt ist, zur Hand; mit ihren Tönen weckt er die 
Geister aus ihren! Schlaf und holt sie aus ihrer Verborgenheit. Dann 
singt er einige einladende Worte*) in einer mystischen, schrecklichen Me¬ 
lodie. Sein Gehülse stimmt ein und beide wiederholen singend dieselben 
Worte, jede Sylbe lang dehnend. Der Meister, welcher anfangs die 
Trommel mit Heftigkeit geschlagen, läßt plötzlich nach, um den Worten 
der schon herbeifliegenden Tadebtsios zu lauschen; sein Jünger singt aber 
immerfort, was der Meister zuletzt gesagt hatte. Nachdem dieser sein 
stummes Gespräch mit den Geistern geendet hat, brechen beide Tadiben 
in ein wildes Geheul aus, die Trommelschläge erschallen in forte und 
der Orakelspruch ertönt. 
Wenn ein Kranker die Hülfe des Tadiben in Anspruch nimmt, so 
beginnt dieser — mag die Krankheit auch noch so gefährlich sein — die 
Kur keineswegs sogleich, sondern er wartet bis zur „ersten Morgenröthe". 
Ist alsdann noch keine Besserung eingetreten, so erklärt der Tadibe, klug 
genug, dem Kranken sei nicht zu helfen, und macht gar keine Versuche zur 
Heilung. Sollte sich aber der Kranke in der verflossenen Zeit wirklich 
gebessert haben, so stellt der Tadibe mit ihm ein Examen an; er fragt ihn 
zuerst, ob er nicht wisse, wer ihm die Krankheit angethan habe, ob er nicht 
mit Diesen! und Jenem Zank und Schlägerei gehabt u. dergl. Kann der 
Kranke keine Auskunft geben, so werden die Tadebtsios gefragt und diese 
allenfalls durch Trommeln und Geheul gezwungen, für die Heilung Sorge 
zu tragen und der Person, welche an der Erkrankung Schuld ist, das gleiche 
*) Ist ein Rennthier verloren gegangen, so ist das Gespräch etwa solgendes: 
Kommet, kommet, 
Zaubergeister! 
Wenn Ihr nicht kommet, 
Komme ich zu Euch. 
Wachet, wachet, 
Zaubergeister! 
Ich bin gekommen, 
Erwacht aus dem Schlaf! 
Der Tadebtsio antwortet: 
Sag' an, welchen Auftrag hast Du? 
Weshalb kamst Du, die Ruh' uns zu stören? 
Der Tadibe: 
Zu mir eben 
Kam ein Njenets (Samojede), 
Heftig dieser 
Mensch mich plaget; 
Fort ist ihm sein Rennthier, 
Deshalb bin ich 
Zu Euch gekommen.
	        
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