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Oder man betrachte das niedere Volk. Da schlendern die dentschen 
Banern zwischen dem Getümmel der lärmenden Bartrussen, die schlanken 
Polen neben den nntersetzten Finnen nnd Efthen, die Letten mit den 
Juden, die amerikanischen Matrosen und ihre Antipoden, die Kamtschadalen 
und Tscheremissen, Mohammedaner, Heiden und Christen, weiße Kauka¬ 
sier, schwarze Mohren, gelbe Mongolen. 
Entschieden am interessantesten und schönsten entwickelt sich das Peters¬ 
burger Straßenleben auf der herrlichen Newsky-Perspective. Diese 
prachtvolle Straße führt vom Alexander-Newsky-Kloster auf die Admiralität 
in einer Länge von vier Werst. Gegen das Ende hin macht sie einen 
kleinen Winkel. Sie durchschneidet alle verschiedenen Ringe der Stadt, das 
Quartier der armen Vorstädter wie die Gegenden des Reichthums und 
Luxus im Centrum. Sie ist daher von sehr verschiedenem Werthe und 
eine Reise auf ihrer ganzen Ausdehnung ist entschieden die interessanteste, die 
man aus den: Terrain von Petersburg machen kann. An ihrem äußersten 
Ende sind aus der einen Seite ein Kloster und ein Kirchhof: Tod und Ein¬ 
samkeit. Alsdann kommen kleine niedrige Häuser von Holz, Viehmärkte und 
Branntweinschenken, von singenden russischen Bauern umschwärmt, Dorf¬ 
leben und Vorstadttreiben. Weiterhin hier und da zweistöckige und steinerne 
Gebäude, bessere Wirthschaften, Magazine und Läden, wie man sie in 
russischen Provinzen vergeblich sucht. Märkte und Magazine mit einer 
Menge alter Möbeln, Kleider und Sachen, welche das Centrum der Stadt 
abnutzte und hier den Vorstädten feilbietet. Die Farben der Häuser, nach 
alter russischer Weise gelb und roth angestrichen, und die Menschen sämmt- 
lich mit langen Bärten und noch längeren Kaftans. Etwas weiterhin er¬ 
scheinen schon Jswoschtschiks (Droschkenkutscher), die sich aus den inneren 
Kreisen hierher verirrten, rasirte Kinne, französische Fracks und einzelne 
prächtige Hänser. Wenn man um die Ecke des Winkels biegt, den die 
Straße macht, so zeigt sich in der Ferne, wie über dem niedrigen Straßen¬ 
nebel schwebend, die goldene Riesennadel des schlanken Admiralitätsthur- 
mes, den alle Hauptstraßen der Stadt zum Point de vue haben. Man 
setzt über ein paar Brücken, und es offenbart sich allmälig der Kern der 
Residenz. Die Paläste schwellen drei- bis vierstöckig empor, die Inschriften 
an den Häusern mehren und vergrößern sich bis zum Schneider „Bouton", 
der seinen Namen mit ellenlangen Buchstaben an seinem Hause stehen har. 
Dre Vierspänner werden häufiger, und es schlüpft hier und da ein eleganter 
Federbusch vorüber. Endlich gelangt man zurFontanka*) und der Annitsch- 
kow'schen Brücke, und hiermit beginnt die eigentliche Residenz selbst, was 
gleich das große Palais des Grafen B. ankündigt. Von dieser Brücke bis 
zum Ende ist das eigentliche elegante und fashionable Stück der Perspec¬ 
tive. Von hier an steigt das Leben schwindelnd. Vierspänner auf jedem 
Tritte, Generale und Fürsten unter dem Getümmel, die ausländischen 
*) Ein Arm der Newa, mit besonders schönen Palästen an den Ufern.
	        
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