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studieren, praktische Lehren daraus zu ziehen und sie in den Manövern und
sonst zu verwerten.
Moltke und Roon brachten es gemeinsam dahin, daß das gesamte
stehende Heer mit dem neuen Zündnadelgewehr versehen wurde. Dieses
Gewehr war das erste, das von hinten geladen wurde und dadurch ein
viel schnelleres Schießen ermöglichte. Auch die (gezogenen) Hinterlader¬
kanonen wurden nun allgemein eingeführt.
Auf diese Weise wurde die preußische Armee neugestaltet; im Kriegs¬
fälle konnte man nunmehr sofort 400000 Mann aufstellen.
Unterdes starb der König Friedrich Wilhelm IV. im Anfange des
Jahres 1861, und der Prinzregent bestieg als König Wilhelm I. den
preußischen Thron. Am 18. Oktober 1861 krönte er zu Königsberg
im Beisein seines Hofes und des Landtags sich und die Königin
mit großer Pracht; es war ein glänzendes Fest, wie es seit des ersten
Preußenkönigs Zeit nicht mehr gefeiert worden war. Der König wollte
damit dartun, daß er seine Gewalt von Gottes Gnaden habe, daß er aber
zugleich getreu der Verfassung zu regieren gedenke.
Aber als der König nun zum drittenmal mit den Mehrforderungen
für das Heer vor den Landtag trat, da verweigerte das Abgeordnetenhaus
die Mittel rundweg, weil keine Kriegsgefahr mehr bestände. Und nun drehte
sich das Ganze um. Die Liberalen, die auf die Regierung gehofft hatten,
wurden deren erbittertste Feinde, und die Konservativen, die anfangs der
Regierung gegnerisch gewesen waren, wurden ihr sehr freundlich. Der König
entließ deshalb das liberale Ministerium und berief ein konservatives.
Das Abgeordnetenhaus wurde aufgelöst; aber die Neuwahlen ergaben
noch mehr Liberale, und auch im Volke begann man dem Könige zu mi߬
trauen. König Wilhelm kam in einen furchtbaren inneren Zwiespalt; er
wollte die Verfassung nicht verletzen, aber auch nicht zurückweichen und die so
notwendige Heeresreform aufgeben. Da berief er in der höchsten Not auf
Roons Rat einen neuen Mann, zunächst, um dessen Ansicht zu hören. Das
war der Gesandte zu Paris, Otto von Bismarck.
Otto von Bismarck war am 1. April 1815 auf dem Gute Schön¬
hausen bei Tangermünde an der Elbe geboren. Er besuchte das Gymnasium
zum Grauen Kloster zu Berlin und die Universität Göttingen, um Rechts¬
und Staatswiffenschaft zu studieren. Von Göttingen ging er nach Berlin,
wo er sein Examen bestand. Er wurde als Referendar beim Stadtgerichte
zu Berlin beschäftigt; doch behagte ihm der Justizdienst nicht. Deshalb ent¬
sagte er diesem und wurde Regierungsreferendar. Aber auch als solcher
hielt er es nicht lange aus. Nun widmete er sich dem Studium der Land¬
wirtschaft, übernahm darauf erst die Verwaltung eines Familienguts in
Pommern, dann, nach dem Tode seines Vaters, die des Stammgutes Schön¬
hausen bei Tangermünde, von dem er sich seitdem von Bismarck-Schön¬
hausen nannte. Seine Kenntnisse wurden bald erkannt, und er wurde
zum Deichhauptmann, d. h. zum Oberbeamten der Verwaltung der Elbedeiche
ernannt.
Als solchen wählte ihn ein Teil der Provinz Sachsen 1847 in den
Vereinigten Landtag, und von da ab begann sein Wirken für Preußen und
Deutschland. Er war damals ein entschiedener Anhänger der absoluten