Ein Jügerspruch aus der Sangaller Rhetorik. -r Aus dem Heliand.
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dar ni mac mäk andremo lielfan vora muspille.4)
Da kann nicht ein Verwandter dem andern helfen vorm Weltunter-
d6ime daz preita wasal allaz varprennit, löau9-
Wenn die weite Erde ganz verbrennt,
enti vlnr enti takt iz allaz arkurpit,
und Feuer und Luft es alles wegfegt,
wär ist denne diu marha, dar man eo mit mägon piec?
wo ist dann die Mark, wo man immer mit Verwandten stritt?
diu marha ist farpnmnan, diu stzla stet pidwungan,
Die Mark ist verbrannt, die Seele steht bezwungen,
ui weiz, mit wiu puaze: sär verit si za wize.
nicht weiß sie. womit sie büße: alsbald fährt sie zur Pein.
Das Gedicht schildert, leider lückenhaft, im 1. Teil das Gericht der
Seele beim Tode, im 2. das Gericht am jüngsten Tage, beim Weltuntergang,
wo es davor warnt, daß es dann zur Buße zu spät ist; der 3. Teil erzählt
von einem irdischen Gerichtstage und warnt die Richter vor Bestechung.
7. Ein Jägerspruch aus der Sangallcr Rhetorik.-)
Um 1000.
Der lieber3) gät in litun,4) tregit sper in situn.
Sin bald5) ellin6) ne läzet in vellin.7)
Imo sint fuoze fuodermäze,
imo sint purste ebenho8) forste
nnde zene sine zwelifelnige.9)
8. Aus dem Heliand. 44h
(Übersetzung von I. Seiler.)
Stillung des Sturmes.44) Petrus wandelt auf dem Meere.
Da waren gekommen
Aus allen Völkern viele zum Christ
Um des Mächtigen Schutz. Doch das Meer wollte befahren
Das Gotteskind mit den Jüngern dicht bei Galiläa,
]) Das Wort ist nicht sicher zu deuten. Im ersten Teil steckt vielleicht ein mit
munäus verwandtes Wort oder inolta Erde (vgl. Maulwurf); spüdjaa heißt zerstören.
Weltbrand gibt also nur den Sinn nach dem Zusammenhang wieder. — 2) Soge¬
nanntes „Jägerlatein", in der Rhetorik als Beispiel einer Hyperbel (Übertreibung)
angeführt. — 8) Eber. — 4) Leite, Berglehne; vgl. Leitenwein. — 5) stark. — 6) Kraft.
— T) dialektisch für fallen. — 8) gleich hoch. — 9) zwölf Ellen lang. — 4°) Das Gedicht
gehört insofern in die Heldendichtung, als es die Geschichte des Heilandes ganz in
heldenhafter Weise auffaßt und sich der Ausdrucksweise und metrischen Form des
Heldengesangs bedient. Es ist auf Anregung Ludwigs des Frommen (f 840) von
einem sächsischen Geistlichen verfaßt. Näheres geben die Denkmäler II, 3 in der Über¬
setzung I. Seilers. Die hier mitgeteilten Stellen zeigen die Eigenart des tapferen
und seekundigen Sachsenvolkes. — n) Die anschauliche Schilderung des Meerswrmes
ist um so bemerkenswerter, als in der Bibel nur die wenigen Worte zu finden sind:
Loos motus raagnus factus est in mari, ita ut navicula operiretur fluctibus.
Matth. 8, 24. Vgl. S. 26.