395. San Francisco.
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Quartier tönt schon von Weitem toller Lärm von hölzernen und kupfernen
Schlaginstrumenten, vermilcht mit ohrenzerreißendem Geheul, welches zu den
Theatern des himmlischen Reiches, zu Jongleurs- und Marionetten-Spielen
einladet. So findet Jeder nach 'seiner Art Erholung und Ergötzlichkeit.
Dieser Carneval belebt San Francisco volle 365 Tage im Jahre und jeder
Tag bringt ihn in neuen Gruppirungen und neuen Bildern.
In allen materiellen Dingen bemerkt man hier den äußersten Fortschritt.
In öffentlichen und Privatgebäuden, in den Wohnhäusern, Comptoiren und
Werkstätten finden die neuesten Errungenschaften der Wissenschaft und der
Technik, welche in den sinnreichen Köpfen der alten Welt oder Neu-Englands
entsprungen sind, sofort ihre Anwendung in großem Maßstabe. Für Erleuch-
tung, Wasserleitung durch alle Stockwerke, für Heizapparate ist bestens
gesorgt: die Ventilation, bei uns noch in der Kindheit, unübertroffen. Die
wahren Amerikaner, die Familien aus den „Staaten", die Aankees, obwohl
in der Minderzahl, sind die eigentlichen Träger des Fortschrittes, sie regeln
den Großhandel, aber sie beherrschen nicht mehr den Platz: Europäer (beson-
ders Jrländer) und Chinesen ringen mit ihnen um den Vorrang. Anch
Deutschland bereichert diese kosmopolitische Bevölkerung mit einer beträcht-
lichen Anzahl seiner Söhne. Diese sind, wie überall, arbeitsam, nüchtern
und sparsam und begnügen sich mit einem geringern Lohne ihrer Mühen.
Sie bleiben Deutsche, während ihre Landsleute in den östlichen und Mittel- '
staaten sich schon in der zweiten Generation amerikanisiren. Man trete hier
in ein deutsches Eomptoir, und man wird sich in Bremen oder Hamburg
glauben.
Den wichtigsten Zweig der in stetem Aufschwünge begriffenen Industrie
bilden die Wollen-Manufacturen, denen die zahlreichen Heerden den Stoff
liefern. Die Seiden-Industrie verspricht gute Resultate: am meisten zurück
sind die Baumwollfabriken. Ueberhaupt aber scheint der Gewerkthätigkeit
eine große Zukunft bevorzustehen. Weder Kapitalien, besonders englische,
fehlen, noch treffliche Arbeiter, namentlich chinesische, die in den Baumwoll-
fabriken sehr gesucht sind. Jeder der großen Steamer, die zwischen Hong¬
kong und San Francisco auf- und absegeln, bringt 800-1200 gelbe
Passagiere mit, und man rechnet bereits zwei Gelbe auf einen Weißen. Ja,
Jrländer, Deutsche und Chinesen scheinen berufen, aus californifchem Boden
zu gedeihen, um vielleicht eines Tages das anglo-amerikanifche Element an
Macht und Einfluß zu überflügeln.