gefressen; weißt du, wie er Rotkäppchen fraß? Du weinst doch
nicht?“ Da gab die Schwester mit leiser Stimme zur Antwort:
„Ich habe nur ein paar Tränen aufs Bett fallen lassen, aber
keine auf den Boden. Sei mir nur nicht böse; aber ich konnte
das Weinen nicht lassen; denn mir war’s vor den Ohren, als
hörte ich unsere gute Mutter weinen und schluchzen. Du bist ja
so still, du weinst wohl auch?“ — „Ja,“ flüsterte es im goldenen
Bette, „mir kam es vor, als hörte ich unsern guten Vater uns rufen,
und seine Stimme klang so voller Angst und so traurig. Aber ich
fange alle Tränen mit meiner Hand auf, damit keine auf den
Boden fällt.“
Eine Weile weinten beide still in ihren Betten; endlich fragte
die Schwester: „Willst du denn für immer König bleiben, und sollen
wir nie mehr zu unsern lieben Eltern kommen? Das halte ich
nicht aus, lieber will ich keine Prinzessin mehr sein; ich muß vor
Sehnsucht sterben, und dann bist du allein in dem goldenen
Schlosse.“ — „Ach,“ seufzte der Bruder, „ich hatte mir’s auch
viel leichter und schöner gedacht, ein König zu sein; die goldene
Krone hat mir die Stirn ganz wund gerieben, und viel lieber
wollt’ ich mit dir in dem grünen Walde Holz zusammenlesen, als
immer auf dem goldenen Throne sitzen; das ist so langweilig.“ —
„Weißt du was?“ klang’s aus dem silbernen Bett herüber, wir wollen
jedes eine Träne auf den Boden fallen lassen; wenn’s dann auch
mit der Herrlichkeit aus ist, so kommen wir doch wieder zu unsern
Eltern.“ Das war ganz nach des Bruders Sinn, und so ließ jedes
von ihnen eine Träne auf den Boden fallen. Kaum war dies ge¬
schehen, so ging ein lautes Wehklagen durch das goldene Schloß;
dann krachte und donnerte es so gewaltig, daß Bruder und Schwester
zitternd aus den Betten sprangen, laut aufschrien und die Besinnung
verloren. Das Schloß war verschwunden, die Kinder lagen wie tot
in der großen Halle auf dem kalten Boden, und umher standen
traurig die kleinen Wichtelmänner. „Habe ich es euch nicht gesagt,“
sprach einer von ihnen, der einen schneeweißen Bart hatte, „daß
wir auch dieses Mal, wie schon so oft, unsern König nicht behalten
würden? Die Kinder der Menschen sind gar eigener Art, auch die
ärmsten haben ihre Eltern so lieb, daß sie sich nach ihnen sehnen
und weinen, wenn man ihnen auch alle Herrlichkeiten der Welt
bietet.“ Die Wichtelmänner senkten traurig den Kopf; denn sie
hatten doch gar zu gern einen König aus den Menschenkindern